Bern – Der Kommissionsvorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative kommt bei fast allen Parteien und Organisationen gut an – vor allem, weil mit ihm die bilateralen Verträge nicht gefährdet würden. Die Urheberin der Initiative, die SVP, ist allerdings unzufrieden.
CVP, SP, Grüne, BDP und Grünliberale loben den Entscheid der nationalrätlichen Staatspolitischen Kommission als guten Kompromiss. Der Vorschlag trage dem Anliegen der Initiative Rechnung und sichere gleichzeitig den Fortbestand der bilateralen Verträge, wird GLP-Fraktionspräsidentin Tiana Angelina Moser in einer Mitteilung zitiert.
SP-Präsident Christian Levrat sprach von einem «Schritt in die richtige Richtung». Es gelte, die hiesigen Arbeitskräfte zu schützen, ohne die Personenfreizügigkeit in Frage zu stellen. Über die einzelnen Massnahmen müsse man noch diskutieren, da gebe es noch viel nachzubessern, sagte Levrat.
Im Konflikt zwischen Verfassungsrecht und Freizügigkeitsabkommen ist es nach Ansicht des SP-Präsidenten richtig, «zuerst die Bilateralen aufrecht zu erhalten». Den Volkswillen sieht er nicht verletzt. «Der Volkswille ist, dass wir die Zuwanderung so weit wie möglich steuern sollten.» Das werde mit der Lösung der Kommission gemacht.
Der Vorschlag sichere die Bilateralen und ermögliche gleichzeitig Massnahmen wie den «Arbeitslosenvorrang», lässt sich Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen, zitieren.
Abweichler bei der FDP
Auch FDP-Fraktionspräsident Ignazio Cassis (TI) begrüsste die Beschlüsse der Kommission. Es handle sich um die «FDP-Lösung». Damit werde die Zuwanderung vom Arbeitsmarkt gesteuert und nicht von der Politik. Zudem würde eine Einigung im Parlament über die Zuwanderungsfrage die Teilnahme der Schweiz an der EU-Forschungszusammenarbeit Horizon 2020 sichern.
Allerdings stellte sich die FDP-Fraktion nicht geschlossen hinter die Kommissionsbeschlüsse. Einige wenige Mitglieder hätten sich dagegen ausgesprochen, räumte Cassis ein, ohne eine Zahl zu nennen. Das ist insofern bedeutsam, als Abweichler bei den knappen Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat einer anderen Lösung zum Durchbruch verhelfen könnten.
Auch die BDP zeigt sich grundsätzlich zufrieden. Allerdings verlangt die Partei Nachbesserungen bei den Kurzaufenthaltsbewilligungen.
Die Lösung entspreche dem Willen der Kantone und ermögliche es, dort Abhilfemassnahmen zu beschliessen, wo sie nötig seien, schreibt die CVP in einer Mitteilung. Zudem würden für die Wirtschaft schädliche zusätzliche Massnahmen verhindert. Gespräche mit der EU seien mit diesem Vorschlag obsolet geworden, gibt sich CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) überzeugt.
SVP droht mit weiterer Initiative
Unzufrieden zeigt sich die Urheberin der Zuwanderungsinitiative, die SVP. Die Verfassung verlange auch jährliche Höchstzahlen und Kontingente sowie eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung, schreibt die Partei auf ihrer Webseite. Der Umsetzungsvorschlag der Kommission widerspreche dem Volkswillen in eklatanter Weise und ignoriere die negativen Konsequenzen der masslosen Zuwanderung.
Werde die Vorlage vom Parlament nicht noch massgeblich im Sinne der SVP abgeändert, werde man das Umsetzungsgesetz ablehnen. Die Partei droht, sie werde «sich eine Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU mittels Volksinitiative vorbehalten».
Möglichst unbürokratisch
Bei den Wirtschaftsverbänden kommt die vorgeschlagene Umsetzung der Zuwanderungsinitiative dagegen gut an. Sowohl Arbeitgeberverband (SAV) als auch Gewerbeverband (sgv) begrüssen den Entscheid der Kommission.
Die Stärkung des Inländervorrangs sei der richtige Weg, schreiben beide Verbände. Allerdings müsse dieser möglichst unbürokratisch umgesetzt werden. Als positiv wertet der Gewerbeverband zudem, dass Studierende nicht als Zuwanderer gelten sollten. Damit bleibe der Bildungsstandort Schweiz gestärkt.
Gewerkschaften verhalten positiv
Nur verhalten positiv fallen die Reaktionen der Arbeitnehmervertreter aus. Positiv werten der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und die Gewerkschaft Unia, dass keine Kontingente eingeführt werden sollen.
Handlungsbedarf sehen beide aber bei den flankierenden Massnahmen. Das knappe Ja zur Zuwanderungsinitiative habe gezeigt, dass sich viele Berufstätige in der Schweiz Sorgen um Löhne und Arbeitsplätze machten. Es brauche deshalb unter anderem mehr Lohnkontrollen und einen besseren Kündigungsschutz, besonders für ältere Arbeitnehmer.
Kantone zufrieden
Zufrieden zeigt sich auf Anfrage Jean-Michel Cina, Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK). Für die Kantone sei der Vorschlag eine gute Diskussionsgrundlage. Mehrere Anliegen der Kantone seien darin berücksichtigt, unter anderem der Verzicht auf Höchstzahlen und Kontingente.
Vom neuen Botschafter der Europäischen Union (EU) in der Schweiz, Michael Matthiessen, war am Freitag bei der EU-Delegation in Bern auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda keine Stellungnahme zu erhalten. Matthiessen wird laut einem Sprecher der Delegation erst in den kommenden Tagen in Bern erwartet. Der Däne tritt die Nachfolge des Briten Richard Jones an, der nach viereinhalb Jahren per Ende August seinen Posten in Bern verlassen hat. (awp/mc/ps)