Zürich – Die mittelständischen Schweizer Industrieunternehmen sind weiterhin nicht besonders zufrieden mit ihrer Geschäftslage: Nur gut die Hälfte (52 Prozent) der 202 Unternehmen bewertete bei einer Befragung des Beratungsunternehmens EY ihre aktuelle Geschäftslage als gut. Das ist der mit Abstand tiefste Wert aller Branchen. Für die kommenden sechs Monate sind die Unternehmen aber zuversichtlicher als noch vor Jahresfrist, über ein Drittel rechnet mit einer Verbesserung der Geschäftslage (37 Prozent, Vorjahr 31 Prozent). Einzig die Unternehmen der Life-Sciences-Branche gehen noch optimistischer ins nächste Semester. Knapp die Hälfte aller Befragten (48 Prozent) hat sich auf Stagnation eingestellt und rechnet für das laufende Jahr mit gleich bleibenden Umsätzen.
«Die relevanten makroökonomischen Indikatoren zeigen nach oben: Die inländische Wirtschaft zieht weiter an, alle EU-Länder wachsen und die US-Wirtschaft brummt. Die Unternehmen rechnen daher mit einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage im laufenden Jahr. Das Niveau ist allerdings nach wie vor niedrig und noch nicht alle mittelständischen Industrieunternehmen haben den Frankenschock verdaut. Viele der ergriffenen Massnahmen entfalten zwar ihre Wirkung und die Umsätze pendeln sich wieder ein. Die Gewinnsituation ist aber für viele Unternehmen nach wie vor sehr schwierig», sagt Marcel Stalder, CEO von EY Schweiz.
Jedes achte Unternehmen in kritischem Zustand
Die Umfrage zeigt weiter, dass sich viele Industrieunternehmen in einem kritischen Zustand befinden. Ihr Anteil ist innert Jahresfrist von acht auf zwölf Prozent gestiegen, das ist der höchste Wert aller Branchen und beinahe doppelt so viel wie in der Gesamtwirtschaft. Dasselbe Bild zeigt sich auch bei der Frage nach der Strategie: Für elf Prozent der Unternehmen geht es in den kommenden Monaten nur noch ums Überleben. Diese Zahl ist zum dritten Mal in Serie angestiegen.
«Diese Ergebnisse sind ein klares Zeichen der fortschreitenden Deindustrialisierung. Die Schweiz bleibt vom postindustriellen Strukturwandel nicht verschont: Die massive Aufwertung des Franken hat die Verlagerung der Produktion ins Ausland noch verstärkt. Nicht alle Unternehmen schaffen den Turnaround, schwache Firmen verschwinden», sagt Christian Schibler, Partner und Sektorleiter Industrie bei EY Schweiz.
Starker Franken weiterhin Hauptsorge
Zwei Drittel der befragten Industriebetriebe mit 30 bis 2‘000 Mitarbeitenden sehen im starken Schweizer Franken nach wie vor die grösste Gefahr für die Entwicklung ihres Unternehmens. 44 Prozent sorgen sich um eine schwache Konjunkturentwicklung im Ausland und 40 Prozent fürchten hohe oder volatile Rohstoffpreise. Diese Zahlen lassen darauf schliessen, dass die Industrie mehr Druck spürt als andere Branchen und begründen sich ihrer starken Exportorientierung: Ein Drittel der von EY befragten Unternehmen verkauft über die Hälfte ihrer Produkte im Ausland, das ist zusammen mit den Life Sciences der höchste Branchenwert.
«Industrieunternehmen müssen sich Umsatz und Gewinn hart gegen die Konkurrenz aus dem Ausland erkämpfen. Viele engagierte Unternehmerpersönlichkeiten stecken Energie und Herzblut in ihre Betriebe und konnten trotz des herausfordernden Umfelds auch für das letzte Jahr hervorragende Zahlen vorweisen. Der Industriestandort Schweiz wird sich bei qualitativ hochwertigen Produkten weiter international behaupten können. Für die Herstellung Massenware gibt es hier keinen Platz mehr», ist Christian Schibler überzeugt.
Industrie 4.0 auf dem Vormarsch
Fast jedes dritte Industrieunternehmen in der Schweiz rechnet für das erste Semester 2017 mit einer Verbesserung der Binnenkonjunktur – vor einem Jahr zeigte sich nur rund jedes vierte Unternehmen optimistisch. Gleichzeitig ist der Anteil der Konjunkturpessimisten von 29 auf aktuell 11 Prozent gesunken. Überdurchschnittlich hohe 31 Prozent der Industrieunternehmen in der Schweiz planen, ihre Gesamtinvestitionen in Ausrüstung und Maschinen in den kommenden sechs Monaten zu erhöhen. Noch höher lag der Anteil zuletzt 2011. Gleichzeitig rechnen 18 Prozent der befragten Unternehmen mit einem Personalabbau im laufenden Jahr, keine andere Branche weist eine so tiefe Beschäftigungsdynamik auf wie die Industrie.
«Die vierte industrielle Revolution schreitet auch in der Schweiz voran. Unsere Zahlen weisen darauf hin, dass die Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannt haben und verstärkt in Roboter investieren: Dank moderner Informations- und Kommunikationstechnik wird die Herstellung von Industriegütern effizienter und individueller sowie die Produkte qualitativ besser. In der Industrie 4.0 kommunizieren und kooperieren Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und auch die Produkte direkt miteinander. Die Unternehmen in der Schweiz müssen lernen, nicht mehr nur einzelne Produktionsschritte zu optimieren, sondern die ganze Wertschöpfungskette komplett zu digitalisieren», erläutert Schibler.
Investitionen in Roboter statt in Mitarbeitende
Viele klassische Industrieberufe verschwinden langsam und werden durch Roboter ersetzt, dafür werden spezifisch neue Stellen für hoch qualifiziertes Personal geschaffen. Die Rekrutierung dieser Fachkräfte ist aber anspruchsvoll: Fast jedem dritten Unternehmen fällt es schwer, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Die unbesetzten Stellen sind mehrheitlich im technischen Bereich: Bei über 60 Prozent der Firmen bleiben Positionen in der Produktion aus Mangel an geeigneten Bewerbern vakant.
«Mit Robotern alleine ist es natürlich nicht getan», stellt Schibler klar. Es brauche gut ausgebildete Mitarbeitende mit einem breiten Verständnis für neue digitale Technologien, welche die immer komplexer werdenden Anlagen auch bedienen könnten. Industriebetriebe ringen auch immer mehr mit Techfirmen wie Google oder IBM um gute Fachkräfte. «Die Schweizer Politik muss in zwei Bereichen am Ball bleiben, damit die Industrieunternehmen in der Schweiz langfristig erfolgreich wirtschaften können: Zum einen müssen Investitionen in die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften erhöht werden, zum anderen brauchen wir einen freien und unkomplizierten Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt», sagt CEO Marcel Stalder.
Industrie fordert weniger Steuern und Bürokratie
Im Grossen und Ganzen sind die Ende letzten Jahres befragten Unternehmen mit den Politikerinnen und Politikern zufrieden, im Vergleich zum Vorjahr ist die Einschätzung klar freundlicher: Über ein Drittel der Unternehmen bewerteten zum Befragungszeitpunkt die aktuelle Politik für Unternehmen in der Schweiz als positiv. Nur gerade 13 Prozent sahen die negativen Einflüsse überwiegen; das ist der tiefste Wert seit 4 Jahren. Von der Politik fordern sie zur Stärkung mittelständischer Unternehmen allen voran Steuerentlastungen und Bürokratieabbau (57 beziehungsweise 56 Prozent). Klar dahinter folgt an dritter Stelle Exportförderung (38 Prozent) sowie direkte Fördermittel für KMU (31 Prozent) und Schutz vor ausländischer Konkurrenz (29 Prozent). Gerade mal jedes zehnte Industrieunternehmen fordert von der Politik eine Lockerung des Kündigungsschutzes.
«Unsere Unternehmen benötigen wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Dazu gehört auch Planungssicherheit in Bezug auf das Steuerumfeld und wenig bürokratische Hürden. Deshalb brauchen wir rasch eine neue mehrheitsfähige Vorlage zur Unternehmensbesteuerung.», sagt EY CEO Marcel Stalder. (EY/mc/ps)
Über die globale EY-Organisation
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