Urs Furrer, Direktor Chocosuisse
Urs Furrer, Direktor Chocosuisse. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Furrer, die steigenden Kakaopreise führen auch in der Schweiz zu steigenden Schokoladenpreisen. Was sind die Hauptgründe für die hohen Rohstoffpreise?
Urs Furrer: Tatsächlich beobachten wir seit rund zwei Jahren einen kräftigen Anstieg des Kakaopreises. Diese Entwicklung wird sich voraussichtlich fortsetzen. Hauptsächliche Treiber des Kakaopreises sind die zunehmende Nachfrage aus Schwellenländern wie China und Probleme auf der Angebotsseite.
Wenn die weltweite Nachfrage das Angebot übersteigt, sind Spekulanten meist nicht weit. Welchen Anteil haben sie an den steigenden Kakaopreisen?
Seit einigen Jahren sind vermehrt auch Hedge Funds an den Rohstoffbörsen aktiv. Inwieweit solche und andere Akteure, die auf den Terminmärkten auf steigende Preise wetten, einen bestehenden Trend verstärken und in der aktuellen Situation die Kakaopreise weiter anheizen, ist unter Experten allerdings umstritten.
Angebot und Nachfrage geraten zunehmend aus dem Gleichgewicht. Die Internationale Kakaoorganisation ICCO erwartet bis zum Start der nächsten Erntesaison am 1. Oktober ein Angebotsdefizit von 75’000 Tonnen. Und dieses Defizit dürfte in den kommenden Jahren massiv steigen. Weshalb?
Um mit der weltweit stark steigenden Nachfrage im Gleichgewicht zu bleiben, müsste das Angebot ebenfalls stark erhöht werden. Allgemein wird aber davon ausgegangen, dass die Kakaobauern wegen den vielfältigen strukturellen Defiziten in den Anbaugebieten nicht in der Lage sind, das Angebot genügend zu erhöhen.
Welches sind denn die grössten Wachstumshindernisse?
Wachstumshemmend wirken vor allem strukturelle Probleme wie überalterte Baumbestände, die Kleinheit der Plantagen oder die in vielen Fällen mangelhafte Ausbildung der Kakaobauern. Ein Teil der Bauern hat zudem vom Kakaoanbau auf den Anbau anderer Rohstoffe wie Kautschuk oder Palmöl gewechselt, weil ihnen diese Rohstoffe attraktiver erschienen. Daneben gibt es weitere Einflussfaktoren wie z.B. politische Instabilitäten oder Wetterereignisse, die sich negativ auf die Kakaoernten auswirken können.
«Wachstumshemmend wirken vor allem strukturelle Probleme wie überalterte Baumbestände, die Kleinheit der Plantagen oder die in vielen Fällen mangelhafte Ausbildung der Kakaobauern.»
Urs Furrer, Direktor Chocosuisse
90 % der weltweiten Kakaoproduktion stammen von Kleinbauern, die in der Regel weniger als fünf Hektar bewirtschaften und nur rund 400 Kilogramm pro Hektar ernten. Liegt da nicht viel Potenzial brach?
Die Kleinheit der Kakaoplantagen verhindert zwar ökonomische Skaleneffekte. Potenzial ist aber dennoch vorhanden, so zum Beispiel mit Blick auf die Optimierung der Bewirtschaftung der Kakaoplantagen. Mit der Unterstützung der Kakaobauern in diesem Bereich lässt sich tatsächlich brachliegendes Potenzial nutzen.
Sie haben es angesprochen: Immer mehr Bauern in den Hauptproduktionsländern wie der Elfenbeinküste bauen lieber Kautschuk als Kakao an, weil sie damit mehr verdienen können. Ist der Kakaoanbau für die Bauern nicht einfach schlicht zu unattraktiv?
Ein wirkungsvolles Mittel zur Erhöhung der Attraktivität des Kakaoanbaus liegt in der Steigerung der Produktivität der Kakaoplantagen. Steigt deren Produktivität und damit auch die Rentabilität von Kakao, wird die Verlockung kleiner, auf den Anbau anderer Pflanzen zu wechseln. Im Rahmen von Mischkulturen mit Pflanzen wie Soja, Mais und anderen, gut mit Kakao wachsenden Pflanzen bringt der Anbau von Kakao nebst ökologischen Vorteilen auch eine Diversifizierung des bäuerlichen Einkommens mit sich.
«Je mehr Zwischenhändler der Kakao auf der Lieferkette durchläuft, desto weniger haben die Kakaobauern davon.»
Was haben die Kakaobauern, die nur einen Bruchteil des letztlich erzielten Ladenpreises erhalten, von den Preissteigerungen?
Der Ladenpreis von Schokolade setzt sich aus vielen Faktoren zusammen. Der Kakaopreis ist einer davon. Je mehr Zwischenhändler der Kakao auf der Lieferkette durchläuft, desto weniger haben die Kakaobauern davon. Deshalb sind direkte Lieferkanäle und langfristige Lieferverträge für die Bauern von Vorteil, da dadurch bessere und stabilere Einkommen möglich werden.
Verschiedene Unternehmen beziehen Kakao heute bereits direkt bei in Kooperativen zusammengeschlossenen Kakaobauern. Wie wirkt sich dies für die Bauern aus?
Solche Modelle wirken sich positiv auf die Kakaobauern aus, die damit weniger auf Zwischenhändler angewiesen sind. Direkte und langfristige Lieferantenbeziehungen sind ein guter Boden für Investitionen der Unternehmen in Infrastrukturen in den Anbaugebieten und in die Schulung der Kakaobauern. Dies sind wichtige Voraussetzungen für nachhaltig gute Kakaoernten und damit für stabile bäuerliche Einkommen.
«Auch solche Preisvorschriften konnten das vielschichtige Problem der Kinderarbeit nicht beseitigen.»
Trotz aller vor Jahren angekündigten Verbesserungen ist in der Kakaoindustrie Kinderarbeit noch immer weit verbreitet. Ist nicht auch dieses Problem letztlich nur über einen höheren Abnahmepreis lösbar, der es den Bauern erlaubt, Arbeitskräfte statt der eigenen Kinder zu beschäftigen?
In den zwei grössten Kakao-Anbauländern der Welt – Côte d’Ivoire und Ghana – gibt es heute staatlich festgelegte Mindestpreise für den Kakao. Auch solche Preisvorschriften konnten das vielschichtige Problem der Kinderarbeit nicht beseitigen. Ein wirkungsvoller Ansatz liegt auch hier in der direkten Zusammenarbeit zwischen Kakaoverarbeitern und Bauernkooperativen vor Ort. Direkte Investitionen der Unternehmen zur Unterstützung der Bauern und die Pflege langfristiger Lieferantenbeziehungen sind konkrete Beiträge zur Stärkung der Sozialstruktur der Kakaobauern und zur Bekämpfung von Kinderarbeit.
Welche Bemühungen bestehen seitens der grossen Schokoladen- und Kakaoproduzenten, die Produktion zu optimieren, das Angebot zu diversifizieren, die Bauern zu schulen etc.?
Es gibt eine grosse Anzahl an Aktivitäten, Initiativen und Projekten verschiedener Unternehmen. Auf globaler Ebene haben zudem über 100 Unternehmen im Rahmen der World Cocoa Foundation (WCF) ihre Aktivitäten mit dem Ziel gebündelt, Kakaobauern und deren Familien weltweit zu unterstützen, den nachhaltigen Kakaoanbau zu fördern und Ernteverluste zu verringern. In diesem Kontext spielt die Schulung der Kakaobauern eine wichtige Rolle.
Nachhaltigkeit im Kakaoanbau ist heute bei vielen Produzenten Teil der Unternehmensstrategie. Welche Art von Projekten, die in den letzten Jahren gestartet wurden, würden Sie als wegweisend bezeichnen?
Nebst unternehmensübergreifenden und globalen Projekten, wie sie unter dem Dach der im Jahr 2000 gegründeten WCF durchgeführt werden, ist sicherlich der Trend zur vertikalen Rückwärtsintegration der Lieferantenkette von Unternehmen und zu langfristigen direkten Beziehungen zwischen Unternehmen und Kakaobauern eine wegweisende Entwicklung.
Haben Sie Erkenntnisse darüber, wie wichtig den Schokolade-Konsumenten in der Schweiz das Thema Nachhaltigkeit ist?
Bei den verschiedenen Konsumentenkategorien stehen beim Kauf von Schokoladeprodukten unterschiedliche Präferenzen im Vordergrund. Generell lässt sich aber sagen, dass die Sensibilität der Konsumenten für das Thema Nachhaltigkeit zunimmt.
Herr Furrer, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Urs Furrer ist seit 1. Juli 2014 Direktor von CHOCOSUISSE, dem Verband Schweizerischer Schokoladefabrikanten. Er hat an der Universität St. Gallen Rechtswissenschaften studiert und arbeitete nach Erlangung des Anwaltspatents während mehrerer Jahre für ein international tätiges Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen. Vor rund zehn Jahren wechselte er zu economiesuisse, wo er von 2010-2013 Mitglied der Geschäftsleitung war.
Zur Organisation:
CHOCOSUISSE ist der repräsentative Zusammenschluss der Schweizer Schokoladeindustrie und umfasst 18 in der industriellen Fertigung von Schokolade und Schokoladeerzeugnissen tätige Unternehmen sowie die bedeutendsten Importeure von Fertigprodukten. CHOCOSUISSE vertritt die Interessen der Schweizer Schokoladeindustrie gegenüber Behörden, den Spitzenverbänden der Wirtschaft, den Gewerkschaften und der Öffentlichkeit.