Davos – Seit Jahren versucht die Schweiz mit ihren zwei wichtigsten Handelspartnern – der EU und den USA -, die bilateralen Beziehungen zu erneuern. Auch am WEF 2020 standen diese Arbeiten für den Bundesrat im Zentrum. Das Fazit: Vieles bleibt offen. Doch der Druck wächst.
Die Treffen einer Bundesratsdelegation mit US-Präsident Donald Trump sowie mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen waren im Vorfeld mit Spannung erwartet worden. Nicht zuletzt wegen deren Anwesenheit war erstmals seit längerem die gesamte Schweizer Landesregierung ans Weltwirtschaftsforum (WEF) nach Davos gereist.
Klar war da auch die allgegenwärtige Klimadebatte mit den Auftritten von Greta Thunberg oder der Konflikt in Nahost. Die Mitglieder des Bundesrats sprachen in über sechzig Treffen und Gesprächen auch über diese und weitere Themen. In der medialen Öffentlichkeit dominierten aber die Beziehungen mit der EU und den USA.
Fokus auf den kleinen Dingen
Die Bundesräte zogen vor den Journalisten jeweils eine positive Bilanz. Sie betonten die «sympathische», «offene», «sehr gute» Atmosphäre in den Gesprächen mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin und dem US-Kabinett. Hinter den Kulissen sah es zuweilen etwas anders aus.
Dass es in den Schweizer Bemühungen um ein institutionelles Abkommen mit der EU oder um ein (Frei-)Handelsabkommen mit den USA keine materiellen Fortschritte geben würde, war bereits zu Wochenbeginn klar. Veranstaltungen wie das WEF bieten Gelegenheit für Treffen mit informellen Charakter. Umso wichtiger werden in solchen Tagen die Details, die Wortwahl der Akteure, die grob skizzierten weiteren Schritte.
Unterschiedliche Priorisierung
Analysiert man diese Faktoren, kommen die teilweise grossen Differenzen zwischen der Schweiz und ihren wichtigsten Wirtschaftspartnern zum Vorschein. Und auch innerhalb der Länderdelegationen herrscht längst keine Einigkeit.
Zum Beispiel beim möglichen Handelsabkommen mit den USA: Während US-Vertreter ein solches in ihren Verlautbarungen am WEF geradezu pushten, wählte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga deutlich vorsichtigere Worte. Ein Abkommen komme nur dann zustande, wenn von beiden Seiten genügend Interesse da sei, sagte sie. Dazu brauche es noch Überzeugungsarbeit.
USA bringt sich in Stellung
Innenpolitisch müssen insbesondere die Bauern von einem Freihandelsabkommen überzeugt werden. Sie fürchten sich wie bei ähnlichen Verträgen mit anderen Ländern oder Staatengruppen vor einem Abbau von Zöllen und einem damit einhergehenden Preisdruck auf Schweizer Produkte.
Für die US-Seite ist derweil klar, dass die Landwirtschaft nicht von einem Freihandelsabkommen ausgeklammert werden kann. «Wenn wir nicht über Landwirtschaft sprechen können, dann müssen wir die Verhandlungen gar nicht beginnen», sagte US-Botschafter Edward McMullen. Er zog damit bereits eine rote Linie.
Eine Frage des Nutzens
Doch nicht nur bei der Agrarpolitik gibt es unterschiedliche Interessen. Offene Fragen gibt es auch zur Schweizer Pharmaindustrie, die in den USA viel Geld verdient. Trumps Credo ist klar: Er will die negative Handelsbilanz mit der Schweiz zumindest ausgleichen und mehr Güter in die Schweiz exportieren.
Die Schweiz dürfte ihrerseits nur dann an einem Abkommen weiterarbeiten, wenn auch sie das wirtschaftliche Potenzial sieht. Ob das der Fall ist, werden die nächsten Monate zeigen. Klar ist derzeit nur, dass die Gespräche weitergehen.
Es droht Konkurrenz
Bis wann mögliche Lösungen gefunden werden sollen, auch darüber scheiden sich die Geister. Aussenminister Ignazio Cassis äusserste sich überraschend offensiv: «Ich denke, dass ein Abschluss vor den US-Präsidentschaftswahlen im November möglich ist», sagte er.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin war da deutlich zurückhaltender: «Wir haben bisher kein konkretes Signal von den Amerikanern erhalten», sagte er. In der Schweizer Delegation wissen viele nicht, was die USA eigentlich wollen.
Auch wenn die Entscheidungsträger keinen gegenseitigen Druck aufbauen wollen, lässt sich die Zeitachse nicht ganz ausblenden. Die USA verhandeln gleichzeitig über verschiedene weitere Handelsabkommen, auch mit der EU. Niemand in der Schweiz dürfte ein Interesse daran haben, dass die USA den EU-Deal bald abschliessen.
Denn: Wenn die Schweiz keine Lösung mit den Amerikanern fände, dann drohten hiesigen Unternehmen grosse Wettbewerbsnachteile gegenüber der Konkurrenz aus den Nachbarländern. Dieses Szenario erscheint heute noch nicht sehr realistisch, doch weitere Monate des Stillstands könnten dies ändern.
Richtungsentscheid am 17. Mai
Etwas klarer ist die Ausgangslage im Ringen um ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU. Vor dem 17. Mai wird auf oberster Stufe nicht viel passieren. Dann äussern sich Volk und Stände zur sogenannten Begrenzungsinitiative der SVP.
Diese verlangt die Kündigung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU. Bei einem Ja zur Initiative fielen wohl die Bilateralen I. Bei einem Nein wäre der Weg frei für weitere Gespräche.
Innenpolitischer Zankapfel
Diese müssten dann aber schnell über die Bühne gehen. Die EU erwartet von der Schweiz, dass direkt nach dem Urnengang Vorschläge für die offenen Punkte auf dem Tisch liegen, namentlich beim Lohn- und Arbeitnehmerschutz, bei den staatlichen Beihilfen und bei der Unionsbürgerrichtlinie.
Bis dahin wird hinter verschlossenen Türen innenpolitisch nach Lösungen gesucht. Bund, Kantone und Sozialpartner suchen nach einem mehrheitsfähigen Kompromiss, nach «Klarstellungen», wie der Bundesrat immer wieder betont.
EU will vorwärts machen
Doch die Geduld der EU ist nicht grenzenlos, wie ein kurzes Statement Anfang Woche zeigte. Kommissionspräsidentin von der Leyen habe beim Treffen mit dem Bundesrat die Bedeutung des institutionellen Rahmenabkommens unterstrichen, hiess es. Sie wünsche, dass es «so bald wie möglich» unterzeichnet und ratifiziert werde.
Druckmittel hat die EU genug. Schon Ende Mai ist die Aktualisierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (MRA) im Bereich Medizinaltechnik fällig. Die EU-Kommission droht mit einer Blockade, falls die Schweiz sich beim Rahmenabkommen nicht bewegt. Vertreter der Medtech-Branche befürchten Milliardeneinbussen. Bundespräsidentin Sommaruga warnt vor Versorgungsengpässen für Patientinnen und Patienten. Auch in diesem Dossier gilt: Der Druck wächst. (awp/mc/pg)