Davos – Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga spürt im Konflikt mit der EU um ein institutionelles Rahmenabkommen auf beiden Seiten ein «Interesse an Lösungen». Brüssel zeige den «Willen, zu kooperieren», sagte sie nach dem ersten Treffen mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Davos.
Sommaruga kam am Montagnachmittag im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos mit von der Leyen zusammen. Am informellen Gespräch nahmen auf Schweizer Seite auch Aussenminister Ignazio Cassis und Justizministerin Karin Keller-Sutter teil.
Die zähen Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen standen im Zentrum des Treffens. Dieses verlief laut Sommaruga in «sehr freundlicher, sympathischer, offener Atmosphäre». «Wir haben einander nicht mit Schlüssel- und Reizwörtern provoziert», sagte die Bundespräsidentin im Anschluss vor den Medien. Beide Seiten hätten aber klar ihre unterschiedlichen Positionen dargelegt. «Es gibt Differenzen, da muss ich Ihnen nichts vormachen.»
Offener Ausgang
Von einer Eskalation seien die beiden Parteien aber weit entfernt, sagte Sommaruga. Das habe auch mit der Wichtigkeit der bilateralen Beziehungen zu tun. Sommaruga belegte diese Aussage damit, dass der wirtschaftliche Austausch zwischen der Schweiz und der EU täglich über eine Milliarde Franken betrage. «Beide Seiten wissen um das fruchtbare, gute Verhältnis.»
Inhaltlich gebe es nichts Neues zu vermelden, sagte die Bundespräsidentin. «Heute musste nichts verhandelt oder entschieden werden.» Es gäbe auch keine Deals, die im Hintergrund gemacht würden. Im Zentrum stehe derzeit ein Austausch unter Experten, der klar und offen sein müsse. «Was daraus entsteht, kann ich Ihnen noch nicht sagen.»
Klar ist seit längerem: Der Bundesrat möchte den bilateralen Weg durch den Abschluss eines institutionellen Abkommens absichern. Voraussetzung dafür sind noch offene Lösungen in Bezug auf den Lohn- und Arbeitnehmerschutz, die staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie. Sommaruga betonte, dass dabei alle Mitglieder des Bundesrats am gleichen Strick zögen. Der Auftritt am Montag zu dritt sei dafür «ein starkes Statement» gewesen.
Weichenstellung am 17. Mai
Sie habe von der Leyen erklärt, dass es in der Schweiz innenpolitisch noch Überzeugungsarbeit für ein Rahmenabkommen brauche, fuhr Sommaruga fort. Ein Richtungsentscheid fällt am 17. Mai. Dann äussern sich Volk und Stände zur Begrenzungsinitiative der SVP. Es handelt sich um eine der wichtigsten europapolitischen Abstimmungen.
Die SVP verlangt mit der Initiative die Kündigung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU. Bei einem Ja müsste die Personenfreizügigkeit innerhalb eines Jahres neu verhandelt werden. Gelänge das nicht, müsste die Schweiz das Abkommen kündigen. Damit träten wegen der Guillotine-Klausel alle weiteren Verträge der Bilateralen I ausser Kraft.
Weitere heisse Dossiers
So präsent die Verhandlungen um ein Rahmenabkommen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind: Sommaruga erwähnte auch weitere Dossiers, die beim Treffen mit der EU-Kommissionspräsidentin auf der Agenda standen.
Beispielsweise habe sie das Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) im Bereich Medizinaltechnik angesprochen. Dieses muss bis Ende Mai aktualisiert werden. Die EU solle Hand bieten für eine Lösung, wie Sommaruga vor den Medien erklärte. Das sei im Interesse beider Seiten.
Versorgungsengpässe verhindern
Heute gewährt das MRA Schweizer Herstellern von Medizinprodukten gleichberechtigten Zugang zum EU-Markt. Ohne Aktualisierung hätte die Schweiz den Status eines Drittstaates – mit wohl milliardenschweren Folgen für die hiesige Branche.
Zudem drohen Versorgungsengpässe, die Patientinnen und Patienten auf beiden Seiten der Grenze treffen würden. Grund ist einerseits der harzige Zertifizierungsprozess unter dem neuen Regime. Andererseits könnte es in der EU bald an Medizinprodukten aus der Schweiz fehlen, was sich unter anderem stark im Bereich der Implantate auswirken dürfte.
Gemeinsame Interessen beim Klimaschutz
Schliesslich hob Bundespräsidentin Sommaruga das Thema Klimaschutz hervor. Hier gebe es viele Parallelen zwischen der Schweiz und der EU. «Beide wollen vorwärtsmachen.» Die EU habe mit dem «European Green Deal» die Richtung vorgegeben. Das Ziel ist die CO2-Neutralität.
Brüssel könne auch von der Schweiz lernen, sagte Sommaruga. Die EU betrachte beispielsweise die in der Schweiz seit längerem etablierte CO2-Abgabe und die Verlagerungspolitik als «interessante Modelle».
Im Hinblick auf das voraussichtliche Treffen mit US-Präsident Donald Trump von Dienstag sagte Sommaruga zum Schluss der Medienkonferenz: «Ich werde auch mit ihm über die Klimathematik sprechen.» (awp/mc/pg)