Bern – Die Schweiz macht einen grossen Schritt Richtung Normalität: Der Bundesrat hat am Mittwoch beschlossen, die «ausserordentliche Lage» zu beenden. Bergbahnen, Campings und Kinos dürfen den Betrieb aufnehmen. Auch grössere Veranstaltungen sind wieder erlaubt.
Die ersten Lockerungen hätten nicht zu einem Anstieg der Fallzahlen geführt, sagte Gesundheitsminister Alain Berset vor den Bundeshausmedien. Die Situation sei unter Kontrolle, es sei an der Zeit, weitere Öffnungsschritte zu machen. Auch Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zeigt sich erfreut über die epidemiologische Entwicklung. Sie habe es in den vergangenen Tagen gespürt: «Die Schweiz ist aufgeblüht.»
Fünfer-Regel fällt
Vor diesem Hintergrund hebt der Bundesrat die meisten der noch verbliebenen Einschränkungen auf, die er zur Eindämmung des Coronavirus in den vergangenen Monaten erlassen hatte. Schon am nächsten Samstag fällt die Fünfer-Regel. Ab dann sind wieder spontane Versammlungen mit bis zu 30 Personen erlaubt. Ein Schutzkonzept ist dafür nicht nötig. Die Distanz- und Hygieneregeln gelten aber weiterhin.
Unterschriftensammlungen sind ab dem 1. Juni wieder erlaubt. Ab dann laufen auch die bisher sistierten Fristen für die Unterschriftensammlungen weiter. Die Initiativ- und Referendumskomitees müssen sich jedoch an ein Schutzkonzept halten.
Der grosse Öffnungsschritt folgt am 6. Juni. Dann dürfen alle bisher noch geschlossenen Betriebe die Tore öffnen, sofern sie ein Schutzkonzept vorweisen können. Davon profitieren zum Beispiel Bergbahnen, Campingplätze und andere touristische Angebote, Schwimmbäder, Zoos, Discos, Kinos oder Theater.
Voraussetzung ist in jedem Fall ein Schutzkonzept. Zudem müssen die Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Wo es zu engen Kontakten kommt, muss eine Rückverfolgung möglich sein. Dafür müssen beispielsweise Kontaktlisten geführt werden.
Anlässe mit bis zu 300 Personen
Der Bundesrat lässt auch Veranstaltungen bis 300 Personen zu. Das können Familienanlässe, Messen, Konzerte, Theatervorstellungen oder Kundgebungen sein. Für grössere Veranstaltungen sei es zu früh, sagte Berset.
Diese Einschränkung betrifft insbesondere Sportveranstaltungen. Am 24. Juni entscheidet der Bundesrat, wann Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen zugelassen werden. Grossveranstaltungen sind bis mindestens Ende August verboten.
Weitere Lockerungen gewährt der Bundesrat auch in Restaurants. Dort dürfen künftig wieder mehr als vier Personen an einem Tisch sitzen. Bei grösseren Gruppen muss aber mindestens eine Person ihre Kontaktangaben hinterlassen.
Polizeistunde um Mitternacht
Weiterhin darf in Restaurants nur sitzend konsumiert werden, alle Lokale müssen um Mitternacht schliessen. Dies gilt auch für Discos und Nachtclubs. Sie müssen zudem Präsenzlisten führen, pro Abend sind nicht mehr als 300 Eintritte erlaubt.
Ab dem 6. Juni ist auch der Präsenzunterricht an Mittel-, Berufs- und Hochschulen sowie bei Weiterbildungen wieder erlaubt. Die Bedingungen legen die Kantone und die Bildungsinstitutionen fest.
Ursprünglich hatte der Bundesrat den Lockerungsschritt für den 8. Juni angekündigt – einen Montag. Laut Berset können die Einschränkungen aber ohne weiteres schon am Samstag aufgehoben werden, was dem Tourismus zugute kommt sowie Veranstaltungen, die übers Wochenende stattfinden.
Bundesrat gibt Macht wieder ab
Wenig spürbar, doch von grosser Symbolkraft ist die Aufhebung der «ausserordentlichen Lage» gemäss Epidemiengesetz. Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hatte der Bundesrat diese am 16. März ausgerufen und damit die Grundlage für den Erlass von Notrecht geschaffen. Am 19. Juni wird dieses Regime beendet, es gilt die «besondere Lage», bei der auch die Kantone wieder ein Wort mitzureden haben.
Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) begrüsst den Schritt. Die Kantone könnten einen allfälligen Handlungsbedarf vor Ort früh erkennen und richtige Massnahmen einleiten, erklärte ihr Präsident Benedikt Würth gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Das bereits geltende Notrecht bleibt vorläufig in Kraft. Der Bundesrat arbeitet derzeit an der Überführung der relevanten Covid-Bestimmungen in ein dringliches und befristetes Covid-19-Gesetz. Dieses wird voraussichtlich am 19. Juni 2020 in die Vernehmlassung geschickt.
Sommerferien im Ausland möglich
Parallel zu den Lockerungen im Inland passt der Bundesrat auch das Regime an der Grenze an. Ab dem 8. Juni werden Gesuche von Erwerbstätigen aus dem EU/Efta-Raum wieder bearbeitet. Zudem können Schweizer Unternehmen wieder hochqualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten anstellen.
Die Einschränkungen an der Grenze zu Deutschland, Frankreich und Österreich sollen wie angekündigt am 15. Juni fallen. Spätestens am 6. Juli möchte der Bundesrat die Reisefreiheit mit allen Schengen-Staaten wieder herstellen – auch mit Italien.
«Zahlen sind gut»
Die zügige Aufhebung der Corona-Massnahmen ist dank der epidemiologische Situation möglich. «Die Zahlen sind gut», sagte Berset. Nach über 1500 täglichen Neuansteckungen im März waren die Fallzahlen über die vergangenen Wochen hinweg stetig gesunken. In den vergangenen Tagen wurden jeweils unter 20 neue Fälle registriert. Am Mittwochmittag meldete das Bundesamt für Gesundheit 15 Neuansteckungen innerhalb eines Tages. (awp/mc/ps)