Zürich – Seit dem Ende der ersten Welle hat der Bund die Bewältigung der Coronakrise den Kantonen in die Hände gelegt. Die unkooperative Form des Schweizer Föderalismus verhindert jedoch eine wirksame Bekämpfung der Pandemie, wie Experten während einer Medienkonferenz der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) erläuterten.
Ein Vergleich zwischen Zentral- und Föderalstaaten in Westeuropa zeigt: Die föderalistisch organisierten Länder schnitten übers Jahr gesehen hinsichtlich Infektionszahlen, Todesfälle und der wirtschaftlichen Entwicklung besser ab als zentralistische Einheitsstaaten wie etwa Frankreich.
Dennoch überrollte die zweite Welle die Schweiz kräftiger als etwa Deutschland. Anders als hierzulande interpretiere das nördliche Nachbarland den Föderalismus kooperativ, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld, Direktor des deutschen Walter Eucken Instituts. Der praktizierte Verbundföderalismus setzt auf Kooperation zwischen Bund, Länder und Gemeinden.
Wettbewerbsföderalismus in der Schweiz
In der Schweiz setzt man mehr auf Wettbewerb. Es gebe wenige institutionelle Rahmen, um eine Kooperation hinzukriegen, sagte der KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm.
Der Wettbewerb drückt sich etwa dann aus, wenn die Kantone versuchen, die Lockerungsschritte einzuleiten. Ein Problem sei ebenfalls, dass viele Kantone die Massnahmen ihrer Nachbarkantone abwarteten. Denn deren ergriffene Einschränkungen helfen auch dem eigenen Kanton – ohne die finanziellen und gesellschaftlichen Lasten zu tragen.
Ähnliche Zahlen wie die Schweiz verzeichne Österreich – obwohl im Nachbarland der Wettbewerbsföderalismus de facto verboten sei, wie Monika Köppl-Turyna, Direktorin von EcoAustria, sagte. Doch die Kompetenzen der Länder und des Bundes seien in Österreich verflochten, sodass die Verantwortlichkeiten nicht klar sichtbar seien.
Auf regionales Infektionsgeschehen reagieren
Während der Bundesrat in der erste Welle die föderalen Strukturen der Schweiz praktisch aufhob, haben die Kantone seit Sommer die Bewältigung der Krise in den eigenen Händen – daraus ist ein Flickenteppich aus Massnahmen entstanden. Und dies, obwohl die Variation des R-Werts zwischen den Kantonen noch nie so tief war wie im November, wie Jan Engelberg-Sturm erläuterte.
«Viele Prozesse in der Schweiz entsprechen nicht denen, die in einer Pandemie nötig wären», sagte Sturm. Er weist etwa auf ein Ampelsystem hin, wie es in Deutschland mit der Corona-Inzidenzschwelle angewendet wird: Übersteigen die Fallzahlen eine bestimmte Schwelle, können neue Massnahmen ergriffen werden.
Durch die föderale Struktur kann das Land damit präzise auf die unterschiedliche Situation in den Regionen reagieren. Aber ein solches Ampelsystem fehle in der Schweiz, so Sturm. (awp/mc/pg)