«Wie wir morgen leben»: Von sequenziellen Karrieren, Kindern in der zweiten Lebenshälfte und Roboterliebe

«Wie wir morgen leben»: Von sequenziellen Karrieren, Kindern in der zweiten Lebenshälfte und Roboterliebe
Szenario Vorbezug Pensionierung. (Bild: Wojtek Klimek / W.I.R.E. / Swiss Life)

Zürich – Wir leben immer länger. Dadurch ergeben sich neue Gestaltungsräume – nicht nur für das Alter, sondern für das gesamte Leben: Der Zeitpunkt für eine Elternschaft kann künftig flexibel gewählt werden, Beziehungen mit smarten Maschinen ermöglichen neue Freiheiten und lebenslanges Lernen wird zum Standard. Im Forschungsprojekt «Wie wir morgen Leben» zeigen der Think Tank W.I.R.E. und Swiss Life 44 alternative Modelle für das längere, selbstbestimmte Leben auf.

Der aktuelle Diskurs über die Alterung blendet oftmals die Tatsache aus, dass die Langlebigkeit unser gesamtes Leben verändert. Sie führt nicht nur dazu, dass sich die letzten Phasen des Lebens verlängern. Vielmehr sollten wir unser Leben mit der gewonnenen Zeit von Grund auf anders planen. Fortschritte in der Medizin, der Einzug smarter Geräte in unseren Alltag und eine Lockerung traditioneller Werte eröffnen dabei grundlegend neue Gestaltungsmöglichkeiten für Familie, Arbeiten, Wohnen, Gesundheit und Vorsorge.

Traditionelle Lebensmodelle stossen an ihre Grenzen
Trotz einem signifikanten Anstieg der Lebenserwartung unterscheidet sich das heute dominante Lebensmodell meist noch nicht von dem unserer Grosseltern: Auf Bildung folgen Karriere, Familie und Pension. Während der letzte Lebensabschnitt trotz längerer Gesundheit wenig aktiv bleibt, stauen sich in den mittleren Lebensjahren zusätzliche Tätigkeiten infolge veränderter Rollen in der Familie, der Karriere und einem steigenden Anspruch an die Selbstverwirklichung ausserhalb des Berufs. So gilt es heute, das Leben von morgen neu zu denken, um das Potenzial des längeren Lebens besser zu verteilen und zu nutzen.

Trennung von Kind und Karriere – den Mehrgenerationenhaushalt neu denken
Mit der gewonnenen Lebenszeit können wir beispielsweise Kind und Karriere trennen und erst in der zweiten Lebenshälfte Eltern werden. Wir können mehrere Berufe erlernen und über das lange Leben verteilt verschiedene Tätigkeiten ausüben – derweil sich die Grosseltern im Mehrgenerationenhaushalt in der Kinderbetreuung engagieren. Insgesamt 44 solcher alternativen Lebensmodelle stellen der Think Tank W.I.R.E. und Swiss Life im soeben im NZZ Libro Verlag erschienenen Buch «Wie wir morgen leben» zur Diskussion.

Mehr Eigenverantwortung: Welche Zukunft ist wünschbar?
Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt die in der Publikation veröffentlichte repräsentative Bevölkerungs­umfrage, in der die Lebensszenarien durch die Schweizer Öffentlichkeit beurteilt wurden. Auffallend ist die hohe Diskrepanz zwischen Wünschbarkeit und Realisierbarkeit der Lebensmodelle. So wird beispielsweise eine sehr späte Elternschaft nur von vier Prozent der Befragten als wünschenswert und realistisch betrachtet. Insbesondere die jüngere Generation schätzt das Szenario aber als sehr wahrscheinlich ein.

Die Bevölkerung wünscht sich flexible Arbeitsstrukturen
Szenarien, die eine Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen anstreben, sind in der Bevölkerung besonders beliebt, aber gefühlt noch weit weg. So wünscht sich zwar über die Hälfte der Befragten regelmässige Auszeiten, aber nur 41 Prozent erachten dieses Szenario als realistisch. Auf wenig Begeisterung stösst das Szenario einer Beziehung mit künstlicher Intelligenz: Nur acht Prozent der Befragten befürworten diese Idee. Eine Verschmelzung von Mensch und Maschine und eine zu hohe Abhängigkeit von der Technologie lösen Ängste aus, werden aber gleichzeitig von knapp der Hälfte der Befragten als realistische Zukunftsvision empfunden.

Unternehmen und Behörden sind gefordert
Die Möglichkeiten des längeren Lebens fordern auch Unternehmen und Behörden. Eine Flexibilisierung von Arbeitsmodellen und Bildungskonzepten drängt sich auf, beispielsweise durch das Verlinken von Menschen mit ähnlichem oder komplementärem Arbeitsprofil über digitale Match-Plattformen. So wird das Jobsharing und der Zugang zu spezifischem Expertenwissen mit limitierten Arbeitspensen erleichtert. Denkbar sind auch Bildungsabonnements von Universitäten und Fachhochschulen, die lebenslanges Lernen durch regelmässige Weiterbildungen in berufseigenen und -fremden Gebieten ermöglichen, finanziert durch die eigene Vorsorge.

Neue Wohn-und Bauformen denken
Ebenso ist eine Anpassung der Infrastruktur an die neuen, komplexeren Familienstrukturen notwendig. Zum Beispiel, indem neue Wohn-und Bauformen gefördert werden, die den veränderten Lebens­umständen von Patchworkfamilien und Mehrgenerationenhaushalten gerecht werden und das gemeinsame und flexible Nutzen von Räumen erlauben. Schliesslich sind Fragen, welche gesellschaft­lichen Leitlinien uns in Zukunft begleiten und wie die Vorsorge neu definiert werden kann, von zentraler Bedeutung.

Mehr Selbstbestimmung, mehr Eigenverantwortung
Der Dialog über die Lebensmodelle von Morgen muss heute geführt werden. Die Notwendigkeit für jeden Einzelnen wächst, sich mit den neuen Möglichkeiten der Lebensgestaltung auseinanderzusetzen. Nur wer heute Eigenverantwortung übernimmt, bestimmt selber und nutzt den individuellen Gestaltungsraum. Damit wir morgen nicht nur länger, sondern auch gut leben. (W.I.R.E./mc/ps)

Informationen
«WIE WIR MORGEN LEBEN – Denkanstösse für das Zeitalter der Langlebigkeit» Hrsg. vom Think Tank W.I.R.E., in Kooperation mit Swiss Life Autoren: Simone Achermann & Stephan Sigrist; NZZ Libro Verlag
Executive Summary zum Download und weitere Informationen: www.thewire.ch/wie-wir-morgen-leben und www.swisslife.ch/wire

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