Wirbel um erhöhte Radioaktivität im Bielersee
AKW Mühleberg vor den Toren Berns.
Bern – Um das Jahr 2000 ist gemäss einer wissenschaftlichen Studie mehr radioaktives Cäsium in den Bielersee geflossen als üblich. Das AKW im bernischen Mühleberg gilt als wahrscheinlichster Verursacher. Laut Experten bestand aber keine Gefahr für die Bevölkerung. Diese kleine Erhöhung der Messwerte für Cäsium wurde zum ersten Mal in einer Studie von Genfer Geologen publik gemacht. Der entsprechende Artikel, aus dem die «SonntagsZeitung» in ihrer jüngsten Ausgabe zitiert, wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Aquatic Sciences» im Februar dieses Jahres veröffentlicht.
Bei der Studie ging es unter anderem darum, Sedimente aus dem Bielersee zu analysieren. Gemäss der «SonntagsZeitung» stiessen die Forschenden zufällig auf die erhöhte radioaktive Strahlung im Seegrund, die vom künstlichen Isotop Cäsium 137 stammt. Der Ausschlag, der bei der Cäsium-Aktivität gemessen wurde, dürfte auf Abgaben aus dem Atomkraftwerk im bernischen Mühleberg zurückzuführen sein, wie es in der Studie heisst. Vom AKW fliesst nämlich kontrolliert und in geringen Mengen radioaktives Reinigungswasser in die Aare, das in den Bielersee gelangen kann.
Die Autoren bezeichnen den «Peak» der Messungen zwar als moderat, weisen aber darauf hin, dass sich im Sediment nur ein Bruchteil des Cäsiums zeige, das in den See gelangt sei. Ausserdem stamme 70% des Trinkwassers in Biel aus dem Bielersee.
Verbesserungsbedarf bei AKW festgestellt
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) schreibt in einer Stellungnahme, man habe Kenntnis von der Studie aus Genf. Als wahrscheinlichster Verursacher für die Cäsium-Spuren komme zwar das AKW Mühleberg in Frage, doch werde es im Nachhinein wohl nicht mehr möglich sei, die genaueren Umstände für diese Abgaben herauszufinden. Aus gesundheitlicher Sicht seien die Werte nicht alarmierend, hält das BAG fest. Es werde nun aber darum gehen, dass es in Zukunft keine unbemerkten Abgaben mehr gebe.
Beim Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI verweist man auch auf die geltenden Grenzwerte. «Diese werden von allen Kernkraftwerken deutlich unterschritten», sagte ENSI-Sprecher Sebastian Hueber auf Anfrage. Für den Zeitraum um das Jahr 2000 seien keine Werte im Wasser gefunden worden, welche die bewilligten Limiten überschritten hätten. Es sei ein Anliegen des ENSI, dass die radioaktiven Abgaben so tief wie möglich seien. Beim Atomkraftwerk in Mühleberg gibt es gemäss Hueber aber Verbesserungsbedarf. Auch dort lägen die radioaktiven Abgaben über das Wasser zwar weit unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte, im Vergleich zu den anderen Kernanlagen seien die Abgaben aber weiterhin zu hoch.
Keine ausserordentlichen Ereignisse
Für die Betreiberin des AKW in Mühleberg, die bernische BKW, lassen sich die Cäsium-Spuren nicht auf ein ausserordentliches Ereignis zurückführen. In den letzten Jahrzehnten sei nichts passiert, was ausserordentliche Abgaben an die Umwelt zur Folge gehabt hätte, sagte BKW-Sprecher Antonio Sommavilla. Die Abgaben des Atomkraftwerks in Mühleberg lägen immer weit unter den gesetzlich vorgeschriebenen Jahresabgabenlimiten, fügte er an. Diese Grenzwerte würden streng überwacht und systematisch analysiert, nicht nur von der BKW selbst, sondern auch von den Behörden.
Ursache klären
Für den Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin ist es nun wichtig, dass von Seiten des Bundes die mögliche Ursache für die Cäsium-Spuren abgeklärt wird. Die Spuren im untersuchten Sediment hätten sich aber auf einem sehr tiefen Niveau befunden, sagt Deflorin. Es sei nie gefährlich gewesen, im Bielersee zu baden oder das aus dem See gewonnene Trinkwasser zu trinken. Die Umweltschützer sind jedoch empört. Greenpeace fordert die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern auf, eine Untersuchung einzuleiten. Diese müsse klären, unter welchen Umständen die erhöhte Radioaktivität in den Bielersee gelangte und ob die Grenzwerte wirklich nicht überschritten worden seien, schreibt Greenpeace in einer Mitteilung.
Für die Grüne Partei des Kantons Berns stellt sich die Frage, was die Berner Behörden genau von den Vorkommnissen rund um das Jahr 2000 wussten. Mit einer Interpellation wolle man dem Regierungsrat entsprechende Fragen stellen, schreibt die Partei in einer Mitteilung. Der Fall habe aufgezeigt, dass das Schweizerische System der «Nuklearsicherheit» in keiner Art und Weise so funktioniere, wie dies angesichts der Risiken eigentlich unabdingbar wäre. (awp/mc/ps)