Jeder dritte Verkehrstote in der Schweiz ist ein Fussgänger oder Velofahrer. (Bild: © sinuswelle – Fotolia.com)
Zürich – Der Strassenverkehr in der Schweiz und den Ländern der EU ist in den vergangenen Jahrzehnten sicherer geworden. Der Allianz Sicherheitsreport zeigt aber auch: Nicht jeder profitiert von dieser Entwicklung gleichermassen. Die Mehrheit aller Menschen, die weltweit im Strassenverkehr sterben, sind Fussgänger und Velofahrer. In Europa sind es über 27 Prozent, in der Schweiz aktuell sogar 33 Prozent. Der Report appelliert dringend an das Tragen von Velohelmen. Besorgniserregend ist gerade jetzt zum Schulbeginn: die Helmtragequote bei Schülern geht in der Schweiz zurück.
Fussgänger und Velofahrer sind besonders gefährdet
Der neue Sicherheitsreport des Allianz Zentrum für Technik (AZT) hat speziell die Gruppe der ungeschützten und nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer einer detaillierten Analyse unterzogen. Diese zeigt: Auf Schweizer Strassen machten Menschen mit dem Velo oder zu Fuss einen Drittel aller Unfallopfer mit Todesfolge aus; alle drei bis vier Tage stirbt in der Schweiz ein Fussgänger oder ein Radfahrer im Strassenverkehr. Besonders verkannt, so der Report, wird die Gefahr des Velounfalls, denn über ein Drittel sind Alleinunfälle, meist Stürze.
«Wenn wir einen deutlichen Rückgang verletzter und getöteter Menschen im Strassenverkehr wollen, ist das nur mit besonderem Augenmerk auf die Fussgänger und Velofahrer erreichbar», so Thomas Lanfermann, Leiter Sachversicherungen bei der Allianz Suisse.
Kreuzungen und Radwege: Für Velofahrer am gefährlichsten
Der häufigste Fehler bei Velofahrern ist die falsche Strassenbenutzung, z.B. das Fahren gegen die Fahrtrichtung in Einbahnstrassen oder die Benutzung des Radweges gegen die Verkehrsrichtung. Die Verletzungsschwere bei Unfällen ist vor allem Ausserorts auf freier Strecke höher. «Dazu kommt, dass Kopfverletzungen bei Velofahrern bei Kollisionen mit Autos viel häufiger durch einen Aufprall auf den Boden entstehen als durch Aufprall ans Fahrzeug», erklärt Thomas Lanfermann. EU-weit gesehen, geschehen fast 40 Prozent aller Unfälle mit Radfahrern im Kreuzungs- und Einmündungsbereich einer Strasse. Und: Die scheinbar sicheren Velowege gelten als zweitgefährlichster Unfallort.
Alarmierend zum Schulbeginn: Helmtragequote bei Schülern geht zurück
Das Fahrrad für den Weg zur Schule ist für Kinder aufgrund der besonderen Gefährdungslage das ungeeignetste Verkehrsmittel. Verglichen mit Schulbus oder zu Fuss ist die Unfallgefahr per Velo für die Kinder statistisch fünf bis sieben Mal höher. Kopf und Gesicht gehören zu den hauptbetroffenen Körperregionen schwerverletzter und getöteter Fahrradfahrer. In den Niederlanden wurde identifiziert: Ein Drittel aller schwerverletzter Velofahrer wurde kopf- und hirnverletzt. Bei Unfällen mit einem Kraftfahrzeug steigt diese Quote sogar auf 47 Prozent. Das Kopfverletzungsrisiko steigt für 6-16-Jährige auf das Doppelte an, bei Senioren mit zunehmendem Alter bis auf das zehnfache. «Die Wahrscheinlichkeit, eine Gehirnverletzung zu erleiden, liegt ohne Helm mehr als doppelt so hoch wie mit Helm», so Lanfermann. Gerade jetzt zum Schulbeginn ist es umso alarmierender, dass bei Schweizer Kindern bis 14 Jahren die Helmtragequote auf 63 Prozent (2012: 68 Prozent) zurückgegangen ist (bfu-Erhebung, Juli 2013). Kinder, so die bfu-Beratungsstelle für Unfallverhütung, seien beim Velofahren einem höheren Risiko ausgesetzt, weil ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten noch nicht voll entwickelt und sie im Verkehr noch ungeübt seien. Für sie sei es daher ganz besonders wichtig, den Kopf zu schützen. Das Parlament lehnte 2012 ein Velohelm-Obligatorium für Kinder ab, unter anderem weil die Helmtragquoten auch ohne Helmpflicht ansteigen würden.
Sicherheitsentwicklung für Fussgänger verläuft weiterhin ungünstig
Ebenso wie bei den Velofahrern ist die Sicherheit für Fussgänger – trotz positiver Entwicklung über die letzten Jahrzehnte – weniger günstig verlaufen, als für Auto-Insassen. Dabei liegt die grösste Gefahr nicht auf dem nächtlichen Landstrassenweg, sondern lauert an der abendlichen Einkaufsstrasse, so der Allianz-Sicherheitsreport. In der Schweiz ereignen sich über 90 Prozent aller Fussgängerunfälle mit Fahrzeugbeteiligung innerhalb von Ortsgebieten. Und: Fussgänger über 65 Jahre sind besonders gefährdet. Das belegt auch die jüngste bfu-Analyse, nach der über 50 Prozent der getöteten Fussgänger über 65 Jahre alt sind. Bei Schwerverletzten hingegen liegt das Medianalter bei 45. Der Allianz-Report macht deutlich, dass Fussgängerunfälle nur zum geringen Teil vom Fussgänger selbst verursacht werden. Hauptverursacher sind meist Fahrzeugführer.
Ungeschützte Verkehrsteilnehmer – trotz Fehlverhalten selten für Unfälle verantwortlich
Obgleich der Sicherheitsreport bei nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern strukturelles Fehlverhalten analysiert, insbesondere Alkoholisierung, Telefonieren, Vortrittsmissachtung, oder falsche Fahrbahnbenutzung bei Velofahrern: Relativ betrachtet sind Fussgänger und Velofahrer in geringerem Masse für ihre Unfallverwicklung hauptverantwortlich als die motorisierten Teilnehmer – und sie weisen verkehrsleistungsbezogen höhere Getötetenraten auf.
Allianz Crashtests zeigen: Helmpflicht muss unbedingt weiter diskutiert werden
Das AZT Allianz Zentrum für Sicherheit appelliert weiterhin an die Einführung der Helmpflicht. Man bevorzuge ohne Frage die Freiwilligkeit, so der Report. Vor dem Hintergrund der AZT-Crash-Sicherheitsforschung sei aber die Helmpflicht als Ultima Ratio weiter zu diskutieren. Der Nutzen des Helms sei unbestritten, so der Report.
Weltweit ist die Zahl der getöteten Fahrradfahrer und Fussgänger in den Jahren 1990 bis 2010 um mehr als 60 Prozent gestiegen (WHO Global Burden of Disease Project). Bezogen auf die Personenkilometer liegt das Risiko eines Fahrradfahrers, im Strassenverkehr zu sterben, in Europa achtmal höher und das eines Fussgängers neunmal höher als das eines Auto-Insassen. (Allianz Suisse/mc/ps)