Bern – Der Zuger Verschlüsselungsspezialist Crypto sieht sich schon seit Jahrzehnten mit Abhör-Vorwürfen konfrontiert. Eindeutige Beweise gab es bislang nicht. Im Europaparlament wurde dem Unternehmen im Jahr 2000 vorgeworfen, Chiffriergeräte manipuliert haben, um US-Geheimdiensten Abhöraktionen zu ermöglichen. Die Firma hat die Vorhaltungen stets zurückgewiesen.
Firmengründer Boris Hagelin unterhielt bereits in den 1950er-Jahren freundschaftliche Beziehungen zu einem hohen Vertreter des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA). Dies belegen Dokumente aus dem Jahr 1955, die 2015 öffentlich wurden.
Demnach erhielt NSA-Mitarbeiter William Friedman laut seiner Schilderung bei einem mehrtägigen Besuch in der Schweiz Einblick in die technische Funktionsweise mehrerer aktueller Chiffriermaschinen, welche die Crypto AG seinerzeit herstellte. Der Kryptografiepionier erfuhr auch, welche Staaten die Firma mit welchen Maschinen belieferte.
Hagelins Heimatland Schweden gehörte ebenso zu den Bezügern wie Belgien, Frankreich, Grossbritannien oder Irland, Jordanien und Syrien. Gespräche über Bestellungen liefen mit Polen, Ungarn, Ägypten, Irak, Brasilien und Indien.
Jobs für Verwandte
Geld wollte Hagelin für seine Dienste gemäss Friedmans Bericht nicht entgegennehmen. Allerdings hatten verschiedene seiner Verwandten zuvor von der Kulanz der NSA profitiert. So hatte der Geheimdienst zugunsten von Hagelins Schwiegersohn bei der US-Luftwaffe interveniert. Eine Cousine von Hagelins Gattin bekam bei der NSA einen Job – wofür sich Hagelin gemäss dem Bericht bedankte. Unklar ist auch, wie lange die Absprache zwischen Friedman und Hagelin gültig war.
Ab den 1980er-Jahren wurden in der Presse Gerüchte kolportiert, wonach Crypto mit deutschen oder US-Geheimdiensten kooperiert haben soll. So sollen die Dienste verschlüsselte Kommunikation von anderen Staaten problemlos ausgespäht haben, weil sie über einen Schlüssel dafür verfügten, hiess es.
Iran verhaftet Mitarbeiter wegen Spionage
Behauptungen, Crypto habe Nachrichtendienst betrieben, hatte 1994 auch ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma in die Welt gesetzt. Hans Bühler hatte 1992 im Iran rund neun Monate in Haft gesessen. Gegen eine Kaution von einer Million Dollar kam er frei, wurde aber wegen Spionage verurteilt. Die Firma klagte wegen der Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Mitarbeiter, einigte sich aber in einem Vergleich.
Die in Zug ansässige Firma war auch Thema im Europaparlament. Auf dessen Anfrage erstellte der britische Journalist Duncan Campbell dazu einen Bericht. In dem 2000 in Brüssel einem Parlamentsausschuss vorgelegten Dokument beschrieb er, wie mit dem von den USA und Grossbritannien 1948 lancierten System «Echelon» Kommunikations-Einrichtungen in Europa abgehört worden sein sollen.
Bericht: Über 130 Länder überwacht
Unter anderem soll die NSA, einer der drei Geheimdienste der USA, auch europäische Chiffriersysteme unterwandert haben. In diesem Zusammenhang «das wichtigste Ziel der NSA-Aktivitäten war eine bedeutende Schweizer Herstellerfirma, die Crypto AG», schrieb Campbell damals.
Laut dem Briten soll es so den abhörenden Geheimdiensten möglich geworden sein, die diplomatischen und militärischen Übermittlungen von über 130 Ländern zu überwachen. Gelaufen seien die Kontakte über Firmengründer Hagelin. Periodisch seien bei Crypto «Berater» erschienen, die für die NSA gearbeitet hätten.
Campbell beschrieb dabei auch die angewandte Methode: Wenn ein Crypto-Gerät eine verschlüsselte Botschaft übermittelte, soll gleichzeitig der Schlüssel selbst übermittelt worden sein. Den Code, um diesen Schlüssel zu lesen, habe indes nur die NSA besessen.
Vom guten Image profitiert
Laut dem Bericht war die Wahl auf Crypto in der Schweiz gefallen, weil sich die Firma nach dem Zweiten Weltkrieg eine starke Marktstellung mit Verschlüsselungssystemen erworben hatte und zudem von der Neutralität und dem guten Image der Schweiz profitierte. Viele Regierungen hätten Produkten aus Grossmächten misstraut.
Die Crypto AG war Marktführerin für Chiffriergeräte, die geheime Kommunikation abhörsicher verschlüsseln sollen. 2018 spaltete sich der Betrieb in zwei Gesellschaften auf, einen Schweizer Teil mit neuem Namen CyOne Security sowie einen internationalen Teil. Die Unternehmen weisen gemäss SRF-Rundschau zurück, heute mit Nachrichtendiensten verstrickt zu sein. (awp/mc/ps)