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Bern – Unter dem Strich sind letztes Jahr 73’000 Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz eingewandert, 50’600 davon aus EU/EFTA-Ländern. Die Zuwanderung hatte aber kaum negative Auswirkungen auf Löhne, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Zu diesem Schluss kommt auch der 11. Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zum Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU.
Die Schweiz blicke auf 13 Jahre mit einer starken Zuwanderung zurück, sagte Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch am Dienstag vor den Medien in Bern. Gleichzeitig seien es Jahre des guten und soliden Wirtschaftswachstums gewesen. Dass die gute Wirtschaftsentwicklung ohne Nutzen für den Einzelnen sei, treffe nicht zu: Der Wohlstand pro Kopf habe zugenommen.
Mehr Zuwanderer aus Süd- und Osteuropa
Boris Zürcher, der Leiter der Direktion für Arbeit im SECO, betonte, die Zuwanderung aus der EU sei durch die Nachfrage getrieben. Laut dem Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen kommen die meisten Zuwanderer zum Arbeiten in die Schweiz. Bei den EU/EFTA-Bürgern macht der Anteil rund 60% aus.
Wegen der ungleichen Wirtschaftsentwicklung in Europa kamen in den letzten Jahren mehr Zuwanderer aus Portugal, Italien und Spanien, während die Nettozuwanderung aus Deutschland von 29’000 im Jahr 2008 auf 6’800 im Jahr 2014 zurückging.
Mehr als die Hälfte mit Uni-Abschluss
Die Verschiebungen in den Herkunftsregionen führte aber nicht dazu, dass die Zuwanderer schlechter qualifiziert sind. Der Schweizer Arbeitsmarkt zieht auch aus den südlichen und östlichen Regionen der EU viele Hochqualifizierte an. Mehr als die Hälfte der Zuwanderer aus EU/EFTA-Ländern haben einen Universitätsabschluss oder eine andere tertiäre Ausbildung.
Im Schnitt sind die Zuwanderer besser qualifiziert als die ansässige Bevölkerung. Zu einer Verdrängung kam es laut dem Bericht jedoch nicht: Sowohl die Schweizerinnen und Schweizer als auch die EU/EFTA-Staatsangehörige konnten ihre Erwerbstätigenquote zwischen 2003 und 2014 steigern. Die Erwerbslosenquote blieb trotz konjunktureller Turbulenzen tief, und die Löhne wuchsen real stärker als in den 1990er Jahren.
Kontingente keine Alternative
Mit der positiven Bilanz zur Personenfreizügigkeit steht das SECO nicht alleine da: Auch die Arbeitgeber und die Gewerkschaften möchten nicht darauf verzichten. Aus Sicht der Gewerkschaften gibt es zwar durchaus Probleme. Diese wären aber mit der Einführung von Kontingenten nicht gelöst, sagte Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
Roland Müller, der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, kritisierte, dass der Diskurs über Migration oft ohne Fakten geführt werde. Die Schweiz habe heute eine Migration, die sie volkswirtschaftlich brauche. Der Bedarf an Spezialisten könne nicht allein durch das Schweizer Bildungssystem abgedeckt werden.
Gift für die Wirtschaft
Die Unsicherheit nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative bezeichnete Müller als «Gift für die Schweizer Wirtschaft», die schon unter dem starken Franken leide. In den kommenden Monaten könnten bis zu 30’000 Stellen abgebaut werden, sollte der Kurs zum Euro bei 1,05 CHF bleiben.
Die Schweiz kämpfe aber nicht nur mit einem verstärkten Stellenabbau, sondern auch mit einem mangelhaften Stellenaufbau. Die Befürchtung der Arbeitgeber, künftig nur noch bedingt auf ausländische Fachkräfte zugreifen zu können, habe nämlich dazu geführt, dass Investitionen zurückgehalten würden. Die Arbeitgeber rufen dazu auf, der Wirtschaft möglichst keine weiteren Steine in den Weg zu legen.
Lohndumping in Branchen ohne GAV
Die Gewerkschaften wiederum fordern, dass Missbräuche der Personenfreizügigkeit bekämpft werden. In verschiedenen Branchen ohne allgemeinverbindliche Mindestlöhne hätten die Kontrolleure im letzten Jahr zahlreiche Arbeitgeber aufgespürt, die zu tiefe Löhne bezahlten, sagte Lampart. Betroffen seien der Gartenbau, der Handel oder das Gesundheits- und Sozialwesen. Auch die Informatik sei eine «Problembranche».
Die hohen Hürden für die Allgemeinverbindlich-Erklärung von GAV müssten endlich gesenkt werden, fordern die Gewerkschaften. Ausserdem müssten die Kantone und die Paritätischen Kommissionen ihre Kontrollen in den Grenzregionen verstärken. Insbesondere im Tessin habe sich die Lage zugespitzt.
Lage in Grenzgebieten aufmerksam verfolgen
Auch der SECO-Bericht hält fest, den flankierenden Massnahmen komme in den Grenzregionen besondere Bedeutung zu. Die Arbeitsmarktlage müsse aufmerksam verfolgt werden. Die Aufwertung des Frankens hat den Schweizer Arbeitsmarkt für Zuwanderer und Grenzgänger noch attraktiver gemacht. Im Tessin sind laut dem Bericht heute mehr als ein Viertel, in Basel-Stadt und Genf je knapp ein Fünftel aller Erwerbstätigen Grenzgänger. Die Erwerbslosenquote ist im Tessin, der Genferseeregion und der Nordwestschweiz in den letzten sechs Jahren angestiegen. (awp/mc/pg)