Christenguss AG im Interview mit swisspeers: «Die Preisspirale dreht sich nur in eine Richtung – nach oben»

(Bild: swisspeers)

Von Alwin Meyer

Die Firma Christenguss produziert Gussteile aus Aluminium und Kupfer. Im Jahr 2018 hat das KMU mit Sitz in Bergdietikon einen Geschäftskredit über swisspeers finanziert. Vier Jahre später steht die Firma aufgrund rasant steigender Rohstoffpreise vor neuen Herausforderungen. Ein Interview mit Geschäftsführer Florian Christen.

Alwin: Guten Tag Florian, seit unserem letzten Gespräch im August 2018 ist viel passiert! Wie läuft es bei Christenguss AG?

Florian Christen: Jetzt läuft es sehr gut. Wenn es noch drei vier Monate so bleibt, müssen wir uns um dieses Jahr keine Sorgen mehr machen.

Alwin: Das klingt hervorragend! Aus welchen Branchen kommen eure Auftraggeber?

Florian Christen: Der grösste Teil kommt aus der Pumpenindustrie. Wir giessen derzeit en Masse grosse Pumpengehäuse aus Kupfer. Das strapaziert gleichzeitig unsere Liquidität. Wenn man 40 solche Pumpen produzieren muss, die pro Stück etwa 150 Kilo wiegen, legt man bei einem Materialpreis von 13 Franken pro Kilo einiges vor.

Lieferketten und Rohstoffe bieten einen Stresstest

Alwin: Unser letztes Interview haben wir 2018 geführt. Derzeit bieten Lieferketten und die Rohstoffe einen Stresstest. Wie hat sich das Umfeld für euch seit 2018 entwickelt?

Florian Christen: Die Preise waren schon immer volatil. Aber seit einem Jahr kennt der Preis nur noch eine Richtung – steil aufwärts, und zwar schnell.

Alwin: Und wie begegnet ihr dieser Herausforderung? Anfangs hattet ihr vielleicht noch Material an Lager und darauf eine gute Marge? Jetzt wird der Einkauf richtig teuer?

Florian Christen: Die Marge erhöht sich für uns nicht. Denn das Material, das wir an Lager haben, ist schon verkauft – die Preise sind fixiert. Im Gegenteil, der Preisanstieg hat uns die Marge versaut. Denn wir kommen derzeit gar nicht nach, die Preiserhöhungen anhand von Zuschlägen an die Kunden abzuwälzen.

Wir kalkulieren den Auftrag mit einem Materialpreis und die Differenz, die wir beim Einkauf haben, weisen wir mit einem Materialteuerungszuschlag aus. Die Marge kalkulierten wir bisher nur auf den Materialpreis und nicht auf den Zuschlag. Wir waren dieses Jahr gezwungen, das zu ändern.

«Für den doppelten Preis beim Materialeinkauf brauchen wir doppelte Liquidität»

Alwin: Wenn du eine Bestellung kalkulierst und den Auftrag erhältst, wie lange dauert es bis zur Auslieferung?

Florian Christen: Rund vier Monate. Und in dieser Zeit steigen die Preise um fünf bis sechs Prozent. Unsere Herausforderung ist derzeit, dass wir gegenüber Vorpandemie den doppelten Preis beim Materialeinkauf vorschiessen müssen und das bindet doppelt so viel Liquidität.

Alwin: Bei welchen Materialien, geht es da um Kupfer?

Florian Christen: Um Kupfer-Bronze-Legierungen zum Beispiel. Anfangs 2021 haben wir für ein Kilo einer Standartlegierung 7.60 Euro bezahlt. Im Dezember lag der Preis schon bei 12.30 Euro und im Moment liegt er bei über 13 Euro pro Kilo.

Abbildung: Kupferpreisentwicklung seit 01.01.2020 (cash.ch)

Alwin: Wow, gewaltige Steigerungen! Haben sich neben dem Preis auch Verfügbarkeit und Lieferfristen verändert?

Florian Christen: Ja. Wir haben Rohmateriallieferanten, die früher x Tonnen an Lager hatten. Heute müssen sie ein paar Kilo zusammenkratzen. Schwierig abschätzbar ist, wieviel dieser Preissteigerungen der Spekulation verschuldet sind.

Einerseits hat die Industrie während der Coronakrise weniger hergestellt und dadurch fällt auch weniger Recyclingmaterial an. Andererseits habe ich gehört, dass auf Luftaufnahmen aus Asien tausende Tonnen Alu-Blöcke auf einem Feld zu sehen waren, die bei einem Grosslieferanten gelagert werden. Mit der künstlichen Verknappung verdient jemand im Moment verdammt viel Geld.

Abbildung: Aluminium Lage in Vietnam (Business Standard 22.11.2021)

Alwin: Wenn du bereit bist, die 13 Euro pro Kilo zu zahlen, dauert es dann auch noch länger, bis du das Material bekommst?

Florian Christen: Nein, wir haben Lager mit Material angelegt, das unsere Lieferanten noch bringen konnten. So sind wir mal für zwei drei Monate eingedeckt. Nichts ist schlimmer als Arbeit zu haben, die man nicht erledigen kann, weil das Material fehlt.

Wenn die Preise sinken sollten, was derzeit nicht so aussieht, würden wir in Erklärungsnot geraten. Im Moment müssen wir dieses Risiko eingehen, um unsere Lieferbereitschaft hochzuhalten.

«Mit einer Solaranlage könnten wir unsere Stromspitzen massiv glätten»

Alwin: Eure Produktion ist sehr stromintensiv. Auch da gibt es wohl grosse Veränderungen für euch, oder nicht?

Florian Christen: Ja das ist ein grosses Thema. Den letzten Vertrag hatte ich für 52 Rappen pro Kilowattstunde abgeschlossen. Jetzt zahlen wir 91 Rappen im Jahr 2022. Und für die erste Tranche von 2023 wurden mir soeben 160 Rappen pro Kilowattstunde angeboten.

Wenn du im letzten Dezember von heute auf morgen Strom beschaffen wolltest, hast du in Frankreich 1000 Euro pro Megawattstunde bezahlt!

Abbildung: Strompreisentwicklung seit 01.01.2020 (bricklebrit.de)

Alwin: Astronomisch! Kaufst du den Strom an einer Strombörse ein?

Florian Christen: Nein, dafür sind wir zu klein. Wir arbeiten mit der Centralschweizerischen Kraftwerke AG (CKW) zusammen, wo wir uns in Tranchen einkaufen. Die CKW schaut dann, zu welchem Zeitpunkt der Kauf gut ist. Normalerweise konnten wir so die Schwankungen etwas ausbügeln. Aber derzeit geht es auch beim Strom nur in eine Richtung – abartig nach oben.

Alwin: Kannst du diese Preissteigerung auch auf die Kunden abwälzen?

Florian Christen: Das ist das Schöne an der freien Industrie, alle erfinden irgendwelche Zuschläge (lacht). Wir arbeiten mit einem Energieteuerungszuschlag pro Kilo Material.

Alwin: Bald ist es für dich günstiger den Bach hinter deiner Firma zu stauen?

Florian Christen: Im Moment wäre das wahrscheinlich wirklich günstiger! Wir diskutieren den Bau einer Solaranlage und Erneuerungen an den Gebäuden, um möglichst Energie zu sparen.

Alwin: So ein grosses Gebäude kannst du gar nicht haben, um deinen riesigen Strombedarf zu decken?

Florian Christen: Es ist nicht unser Ziel, uns zu 100 Prozent selbst zu versorgen. Unser Problem sind die Spitzenlasten unserer Produktion. Dem Energielieferanten zahlen wir 30 Tage lang die Spitzen.

Natürlich planen wir so, dass wir die Spitzen so tief wie möglich halten. Aber das geht nicht immer. Mit einer Solaranlage könnten wir das massiv glätten.

Alwin: Sind Batterien für euch schon eine Option?

Florian Christen: Weil wir tagsüber produzieren, könnten wir den Solarstrom direkt nutzen. Eine Batterie würde nur helfen, wenn wir nachts produzieren würden. Ausserdem wären die Batterien, die es heute gibt, für uns noch viel zu klein. Die würden grad schmelzen, wenn wir den Ofen anmachen (lacht).

Alwin: Wie viele der Preiserhöhungen konntest du an die Kunden überwälzen?

Florian Christen: Das waren etwa 80 bis 85 Prozent. Der Rest hat uns das Ergebnis verhagelt.

Alwin: Musst du mit den Kunden harte Preis-Verhandlungen führen oder akzeptieren sie, dass die Rohstoffe derzeit teuer sind?

Florian Christen: Wir hatten bisher keine grossen Diskussionen. Das Problem besteht weltweit. Einige hatten bei der Konkurrenz angefragt, sind aber wieder zurückgekommen, weil sie gemerkt haben, dass die Situation überall die gleiche ist.

«Wenn China nicht liefert, läuft bei uns nichts»

Alwin: Wie ist dein Ausblick für die nächsten Monate?

Florian Christen: Beim Strom sorgen wir uns um den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Strom und Gas sind eng verknüpft und Russland liefert viel Gas. Da befürchte ich ein riesiges Debakel, was der energieintensiven Industrie nicht gut tun wird.

Wir müssen unseren Strom vermehrt selbst produzieren. Bei den Rohmaterialien wird es wohl in den nächsten 6 Monaten nicht besser.

Panikkäufe haben die Verknappung verschärft. Zudem wird wenig produziert.

Wenn in China Millionenstädte inklusive Hafen runtergefahren werden, sitzen wir hier auf dem Trockenen. Da sehen wir auch die massive Abhängigkeit, die wir geschaffen haben. Wenn China nicht liefert, läuft bei uns nichts.

Alwin: Wie wirken sich die Staus in den Häfen auf euer Geschäft aus?

Florian Christen: Das schlägt sich ebenfalls im Preis nieder. Je weniger die Rohmaterial-Lieferanten am Lager haben, desto mehr schrauben sie an den Preisen. Ausserdem leidet die Geschwindigkeit. Unsere Kunden, die beispielsweise Maschinen bauen, haben viel längere Lieferfristen, weil sie einfach kein Material bekommen.

Alwin: Kann es auch daran liegen, dass die Nachfrage historisch hoch ist und das einen Engpass bei den Materialien auslöst?

Florian Christen: Nein. Der Aufholeffekt war im Jahr 2021 durch. Wir haben zwar eine gute Auftragslage, aber im Vergleich zu 2018 liegt das Niveau massiv tiefer.

Als KMU haben wir den Vorteil, dass wir unsere Kostenstruktur schnell anpassen können. Es geht auch mit weniger Umsatz weiter. Aber das Gesamtbild sieht natürlich anders aus. Im Vergleich zu 2018 haben wir einen Drittel weniger. Ich muss allerdings relativieren: 2018 war unser umsatzstärkstes Jahr, aber unterm Strich nicht das erfolgreichste. Einige Aufträge lohnten sich schlichtweg nicht. Das musste sich wieder einpendeln.

Alwin: Ihr meistert wirklich riesige Herausforderungen. Davor habe ich grösste Hochachtung.

Florian Christen: (lacht) Ach, jedes Unternehmen hat seine Themen. Ich finde diese Zeit noch spannend. Man muss jetzt Ideen haben und etwas machen.

Alwin: Natürlich hast du viele Stellschrauben, aber das macht die Sache auch komplex, weil alles zusammenhängt.

Florian Christen: Absolut! Und ganz oft bist du einfach Passagier und gezwungen, damit zu leben. Ein Vorteil ist unsere Betriebsgrösse. Zwei Tonnen Material bekommen wir immer irgendwoher und damit können wir wieder eine Weile arbeiten. Ein grosser Verarbeiter, der am Tag 30-40 Tonnen Material benötigt und 24/7 produziert, hat viel mehr Probleme.

Alwin: Hey, das war sehr spannend. Vielen Dank für das Gespräch! (swisspeers/mc/ps)

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