Düsseldorf – Billiganbieter und Airlines aus dem Nahen Osten machen es etablierten Fluggesellschaften zunehmend schwer, sich im europäischen Markt zu behaupten. Der Marktanteil der Billiganbieter, der so genannten Low Cost Carrier (LCCs), liegt im innereuropäischen Verkehr bereits bei 38 Prozent. Zählt man die zum Teil neu gegründeten Töchter der etablierten Airlines dazu, werden rund 45 Prozent erreicht. Eine aktuelle Studie von A.T. Kearney analysiert die Top-7-Fluggesellschaften aus Europa und dem Nahen Osten und zeigt Erfolgsfaktoren auf.
A.T. Kearney hat im zweiten Jahr in Folge die Wettbewerbsfähigkeit der sieben grössten Airlines Europas und des Nahen Ostens analysiert. Diese Top-7-Airlines, gemessen an geflogenen Passagierkilometern, repräsentieren drei Geschäftsmodelle: Die etablierten Fluggesellschaften oder auch Legacy Carrier Lufthansa, AirFrance/KLM und IAG (British Airways, Iberia), die Low Cost Carrier Ryanair und easyJet sowie die grössten Herausforderer aus dem Nahen Osten Emirates und Turkish Airlines.
Etablierte Airlines hinter Billiganbietern und Nah-Ost-Airlines
Wie auch im Vorjahr bestimmen Low Cost Carrier den europäischen Airline-Markt bei Mittel- und Kurzstreckenflügen. Ihr Anteil im europäischen Markt nimmt stetig zu. Ryanair ist gemessen an angebotenen Sitzen mit 18,6 Prozent Marktführer im innereuropäischen Verkehr, gefolgt von Lufthansa (12,7 Prozent) und easyJet (12,6 Prozent). Insgesamt liegt der Marktanteil der LCCs im innereuropäischen Verkehr bereits bei 38 Prozent. Zählt man die zum Teil neu gegründeten Töchter der etablierten Airlines dazu, sind es rund 45 Prozent. Denn das Konzept der Billig-Airlines funktioniert so gut, dass einige etablierte Fluggesellschaften Low-Cost-Tochterunternehmen betreiben, wie Lufthansa mit Germanwings oder Iberia mit Vueling. Das ermöglicht ihnen, sich mit der etablierten Marke verstärkt auf interkontinentale Strecken zu konzentrieren. Auf diesen Fernstrecken werden sie allerdings mittlerweile stark von den Airlines des Nahen Ostens herausgefordert.
Die Studie von A.T. Kearney zeigt neben dem grundsätzlich erforderlichen Kostenmanagement vier Erfolgsfaktoren für die Airline der Zukunft auf: Umsatzmanagement, Kundennähe, Markenstärke und Marktpräsenz.
Umsatzmanagement: Service-Pakete schnüren
Der Erfolg der Low-Cost-Carrier geht auf die Entbündelung ihrer Angebote zurück: Sie bieten zwar günstige Ticketpreise an, für Extras wie Gepäck, mehr Beinfreiheit oder Getränke und Speisen fallen aber Zusatzkosten an. Das bringt ihnen zusätzliche Umsätze. Aktuelle Entwicklungen zeigen eine Weiterentwicklung des Trends: Die Bündelung von Servicepaketen, die bestimmte Kundengruppen ansprechen. Der komfortorientierte Fluggast kann auf diese Weise zum Beispiel ein Komfortpaket buchen, das ihm mehr Beinfreiheit, eine Menüauswahl und Zutritt zur Lounge bietet – anstatt alle Services einzeln buchen zu müssen.
Tanja Wielgoss, Partnerin bei A.T. Kearney und Studienautorin erklärt: „Das Prinzip kennt man aus anderen Branchen: Auch beim Autokauf oder im Hotel entstehen für Extras, die häufig in Modulen angeboten werden, zusätzliche Kosten. Und die Kunden sind bereit, diese zu kaufen, wenn sie auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Airlines bieten ihre Services häufig entweder ‚all-inclusive‘ oder komplett entbündelt an. Dabei entgeht ihnen gerade bei weniger preissensibler Kundschaft ein grosses Umsatzpotenzial.“
Kundennähe: Daten für personalisierte Angebote nutzen
Der Online-Versender Amazon zeigt, wie Daten über Kundengewohnheiten dazu genutzt werden können, individuell zugeschnittene Empfehlungen, Sonderangebote oder ähnliches an den Kunden weiterzugeben. Auch Airlines können sich diese Methode zu eigen machen. Ihnen liegen bisher kaum genutzte Mengen an Daten aus Vielflieger- oder Kreditkartenprogrammen vor. Wenn sie diese produktorientiert auswerten, können sie individuelle Vorlieben und Gewohnheiten ihrer Kunden identifizieren und befriedigen. Das ermöglicht sowohl einen individualisierten Online-Ticketverkauf als auch persönliche Services am Flughafencounter oder an Bord. Es ist nicht nur ein Mehrwert für den Fluggast, wenn das Flugzeugpersonal weiss, dass er seinen Kaffee mit Milch trinkt und gern ein Kissen im Flieger nutzt. Auch die Airline profitiert davon, ihre Kunden besser zu kennen und damit ihre Loyalität deutlich zu erhöhen.
Markenstärke: Weltweit Kunden binden
Airlines können von weltbekannten Marken sehr viel lernen. Denn diese wachsen und sind erfolgreich, weil sie für ihre Kunden klar positioniert sind. „Um ihren Wiedererkennungswert zu steigern, müssen Airlines ihren Markenkern klarer herausarbeiten. Noch können sie nicht mit dem Markenwert grosser weltweiter Spieler wie Apple, Google oder Coca-Cola mithalten. Eine Herausforderung dabei sind Markennamen wie Germanwings, Air France oder British Airways mit geografischem Bezug. Namen wie easyJet oder Hop! haben es international leichter“, erklärt Wielgoss.
Marktpräsenz: Streckennetze weltweit ausbauen
Das Wachstumspotenzial des Luftverkehrs in Europa und den Vereinigten Staaten ist nahezu erschöpft. Der Markt in Lateinamerika, Afrika und Asien birgt jedoch noch viele Möglichkeiten. Noch ist der Luftverkehr in vielen Regionen stark reguliert. „Der Trend geht aber stetig zu mehr Liberalisierung, auch weil sich immer weniger Länder eine Airline in Staatsbesitz leisten können und wollen“, erklärt Jörn Grotepass, Principal bei A.T. Kearney und Co-Autor der Studie. „Um diese Märkte zu erobern, gilt es für Airlines nicht nur auf den starken Heimatmarkt zu setzen, sondern das Geschäft in den Zielmärkten auszubauen. Bei fortschreitender Liberalisierung wird damit die Basis geschaffen, das Streckennetz – unabhängig von Allianzen – weltweit auszubauen und vom Wachstum fernab der schwächelnden Heimatmärkte zu profitieren“, so Grotepass.
Von anderen Branchen lernen
Alle Airlines können von Beispielen innerhalb und außerhalb ihrer Branche lernen, um unmittelbares Wachstum zu erreichen und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Innerhalb der Branche sind vor allem die Low Cost Carrier und Low-Cost-Töchter der etablierten Airlines Vorreiter in Sachen Innovation. Herausforderer aus dem Nahen Osten sind auf dem besten Weg, weltweit bekannte Marken zu werden. Ausserhalb der Branche sind besonders führende Online-Retailer Vorbilder in Bezug auf den Umgang mit Kundendaten und grosse Spieler machen vor, wie eine starke Marke Kunden binden kann. (A.T. Kearney/mc/pg)