AXA Crashtests zu Elektroautos: E-Crash – Verkehr unter Strom
Winterthur – Elektroautos werden immer beliebter. Mehr PS, neue Antriebe und die vermehrte Nutzung von Fahrerassistenzsystemen stellen jedoch neue Anforderungen an alle Verkehrsteilnehmer. An ihren Crashtests zeigen die Unfallforscher der AXA verschiedene Risiken der elektrisch betriebenen Fahrzeuge auf.
Heute sind auf Schweizer Strassen rund 25’000 Elektroautos unterwegs. Damit sind sie nach wie vor in der Unterzahl, doch ihre Verkaufszahlen steigen rasant. Wie eine repräsentative Umfrage 1 der AXA bei 1000 Schweizerinnen und Schweizern zeigt, kann sich unterdessen jeder dritte Autofahrer vorstellen, in Zukunft ein E-Auto zu kaufen; bei den Jungen zwischen 18-24 Jahren sogar jeder zweite. Und wer einmal ein E-Auto besitzt, wird kaum mehr wechseln: 98 Prozent der E-Autofahrer würden sich wieder für ein solches Modell entscheiden, wie eine exklusive Umfrage2 bei 340 Besitzern eines E-Autos zeigt.
Die steigende Anzahl E-Autos auf den Schweizer Strassen hat zur Folge, dass es in Zukunft immer mehr Unfälle geben wird, an denen ein E-Auto beteiligt ist. Elektroautos unterscheiden sich jedoch in mehreren Aspekten von herkömmlichen Autos, was sich auch auf das Unfallgeschehen auswirkt. An den diesjährigen Crashtests auf dem Flugplatz Dübendorf zeigen die Unfallforscher der AXA anhand von drei Crashversuchen auf, welche spezifischen Risiken E-Autos mit sich bringen.
PS-starke E-Autos treiben Schadenfrequenz in die Höhe
Erste Auswertungen der bisherigen Schadenzahlen zeigen, dass die Schadenfrequenz von Elektro-Autos insgesamt vergleichbar ist mit jener von anderen Autos. Allerdings zeichnen sich klare Unterschiede je nach Fahrzugklasse ab: Während kleinere E-Autos im Bereich Microklasse/Kleinwagen rund 10 Prozent weniger Schäden als konventionell betriebene Autos der gleichen Fahrzeugklasse verursachen, ist die Schadenfrequenz bei grösseren, PS-starken Modellen der Kategorie Luxuswagen/SUV rund 40 Prozent höher. Einen Grund dafür sehen die Unfallforscher im Beschleunigungsverhalten der E-Autos.
E-Autos beschleunigen schneller als erwartet
E-Autos beschleunigen sehr schnell und immer gleich stark, unabhängig von der Drehzahl. «Die maximale Beschleunigung ist sofort verfügbar, während es selbst bei PS-starken Verbrennungsmotoren noch einen Moment dauert, bis die maximale Beschleunigung erreicht wird. Das stellt neue Anforderungen an die Fahrerinnen und Fahrer», sagt Bettina Zahnd, Leiterin Unfallforschung & Prävention bei der AXA. Die Hälfte der befragten E-Autofahrer gab denn auch an, dass sie beim Wechsel auf ein E-Auto ihre Fahrweise aufgrund des veränderten Brems- und Beschleunigungsverhaltens anpassen mussten.
Was die starke Beschleunigung – insbesondere mit einem ungeübten Fahrer am Steuer – für Folgen haben kann, zeigt die AXA beim ersten Crashversuch. Ein E-Autofahrer ist auf einer Landstrasse unterwegs und möchte kurz vor einer Rechtskurve nur leicht beschleunigen. Das E-Auto beschleunigt stärker als er erwartet, so dass der überraschte Fahrer in der Kurve von seiner Spur abkommt und auf die Gegenfahrbahn gerät. Das entgegenkommende Auto kann nicht mehr rechtzeitig bremsen oder ausweichen. Es kommt zur Frontalkollision, bei der die zwei Autos mit rund 70 km/h zusammenprallen. Beide Personenwagen werden stark deformiert. Die Fahrer werden durch Gurt und Airbags zwar bestmöglich geschützt, dennoch ist bei beiden Fahrern mit mittleren bis schweren Verletzungen zu rechnen.
Fahrzeugspezifische Kenntnisse werden wichtiger
«Wer ein Auto fahren kann, kann nicht zwingend jedes Auto fahren. Neben der klassischen Fahrausbildung sind vermehrt auch spezifische Kenntnisse der einzelnen Fahrzeugtypen wichtig. Speziell bei E-Autos muss man sich erst an das veränderte Brems- und Beschleunigungsverhalten gewöhnen, bevor man das Fahrzeug sicher bedienen kann», sagt AXA Unfallforscherin Bettina Zahnd.
Ein Unfall mit einem E-Auto ist für den Insassen ähnlich gefährlich wie mit einem konventionell angetriebenen Auto. Sie durchlaufen dieselben Sicherheitstests und sind mit denselben Sicherheitselementen wie steifer Fahrgastzelle und Airbags ausgestattet. Bei einer sehr heftigen Kollision wird bei E-Autos zudem die Hochvoltanlage ausgeschaltet um sicherzustellen, dass das Fahrzeug nicht mehr unter Spannung steht.
Je nach Unfall kann es jedoch vorkommen, dass die Batterien beschädigt werden und einen Brand auslösen. «E-Autos brennen zwar nicht häufiger als andere Fahrzeuge, doch wenn sich eine Batterie entzündet, brennt sie sehr schnell und kann kaum mehr gelöscht werden», sagt AXA Unfallforscherin Bettina Zahnd. In solch einem Fall gehe es nur noch darum, die Insassen möglichst schnell aus dem Auto zu befreien und in sichere Distanz zu bringen, um sie vor Verbrennungen und giftigen Dämpfen zu schützen.
Lautloses Anfahren erfordert mehr Vorsicht aller Verkehrsteilnehmer
Eine weitere Besonderheit von Elektroautos ist, dass sie sehr leise sind. Insbesondere das Starten des Motors ist kaum zu hören. So kann auch ein scheinbar ungefährliches Manöver einen Unfall provozieren, wie der zweite Crashversuch zeigt.
Der Lenker eines Elektroautos fährt rückwärts aus einer Parklücke, während eine ältere Frau mit Rollator hinter dem Auto vorbeigeht. Der Fahrer übersieht die Frau – und da der Motor nicht zu hören ist, bemerkt auch die Frau das Losfahren des Wagens nicht. Sie wird vom Auto angefahren und fällt zu Boden. Auch wenn die primäre Kollision mit dem Elektrofahrzeug harmlos erscheint, kann die ältere Frau bei einem unglücklichen Sturz schwerste Verletzungen erleiden.
AXA empfiehlt die Installation von Geräuschgeneratoren
Gemäss EU-Verordnung müssen seit Juli 2019 alle neuen Typen von Hybrid- und Elektrofahrzeugen zum Schutz von Fussgängern mit einem akustischen Warnsignal (Acoustic Vehicle Alerting Systems, kurz AVAS) ausgerüstet sein. Für ältere Modelle gilt jedoch keine Nachrüstungspflicht. «Wir empfehlen den Besitzern eines lautlosen E-Autos, dieses freiwillig mit einem Geräuschgenerator auszurüsten, damit andere Verkehrsteilnehmer sie hören können», so Zahnd.
Neben der starken Beschleunigung und dem lautlosen Anfahren bringen E-Autos eine weitere Besonderheit mit sich: die vermehrte Nutzung von Fahrerassistenzsystemen. Zwar sind nicht nur E-Autos, sondern sämtliche neueren Fahrzeugmodelle mit Assistenzsystemen ausgestattet. E-Autofahrer sind jedoch generell interessierter an technischen Innovationen, kennen mehr Assistenzsysteme und nutzen diese auch häufiger, wie ein Vergleich der Umfrage-Ergebnisse von E-Autofahrern und anderen zeigt.
E-Autofahrer sind besonders technikaffin
So sagen 99 von 100 E-Autofahrern, deren Fahrzeug mit Autopilot ausgestattet ist, dass sie diesen auch nutzen, mehr als die Hälfte sogar oft oder immer, am häufigsten auf der Autobahn und auf Überland-Strassen.
Die Abteilung Unfallforschung & Prävention der AXA hat in unterschiedlichen Studien nachgewiesen, dass Fahrerassistenzsysteme (FAS), insbesondere der Notbremsassistent und das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP), helfen können, Unfälle zu vermeiden. Mit der zunehmenden Automatisierung steigt aber auch die Gefahr, dass Fahrer der Technik blind vertrauen («over-reliance»). Bereits heute sind diverse Unfälle bekannt, bei denen – vermutet oder nachgewiesen – der Fahrer zu viel Vertrauen in ein System hatte. Was dabei geschehen kann, veranschaulicht der dritte Crashversuch.
FAS sind nützlich – aber kein Ersatz für den Fahrer
Ein E-Autofahrer ist auf der Autobahn unterwegs und fährt mit eingeschaltetem Autopiloten, der die Längs- und Querführung übernimmt. Der Fahrer vertraut dieser Technik und lässt sich – obwohl er nach heutiger Gesetzeslage stets auf den Verkehr konzentriert sein muss – ablenken. Im Bereich einer Autobahnverzweigung kommt das Assistenzsystem an seine Grenzen und gibt die Fahraufgabe umgehend an den Lenker zurück. Der Fahrer müsste sofort reagieren, doch weil er abgelenkt war, reagiert er zu spät. Das Auto kollidiert frontal mit rund 100 km/h mit einem Anpralldämpfer. Dieser absorbiert zwar mehr Energie als beispielsweise ein Betonpfeiler, trotzdem muss bei diesem heftigen Aufprall mit mittleren bis schweren Verletzungen des Fahrers gerechnet werden.
«E-Autos sind im Prinzip genauso sicher wie andere Fahrzeuge. Fahrerinnen und Fahrer sowie andere Verkehrsteilnehmer müssen sich jedoch auf ihre Besonderheiten einstellen und den richtigen Umgang damit finden. Dasselbe gilt für Fahrerassistenzsysteme. Alle heute verfügbaren Systeme müssen ständig überwacht werden. Sie können den Fahrer zwar unterstützen, aber man darf sich nicht zu sehr auf sie verlassen, um die eigene Sicherheit und die der anderen nicht zu gefährden», sagt Unfallforscherin Bettina Zahnd. (AXA/mc/pg)