Die Niedlichkeit macht den Weg frei zu einer neuen Ernsthaftigkeit. Als wie wenn man es geahnt hätte, dass nun eine Zeitenwende eintritt.
Die Japan Society hat in New York eine Ausstellung zu Japans zeitgenössischer Kunst mit dem Titel «Bye bye Kitty» eröffnet. Worum es in der Ausstellung geht, das muss man nun nicht mehr erklären, denn … Künstler sind schon seit Generationen die Seismografen für die Gesellschaft. Wenn dem Normalbürger immer noch nichts dämmert und er beharrlich meint, dass alles beim Alten geblieben ist und die Annehmlichkeiten des heutigen Seins für die Ewigkeit dauern, so schauen wir heute eines Besseren belehrt mit ernüchterndem Blick zurück auf die Frühwarner, ja gar auf ein ganzes Heer von Kassandras. Schon seit Jahren hat die Haltung des «kawaii», was mit dem englischen «cute» oder dem deutschen «niedlich zu übersetzten ist die Leute eingelullt in eine wärmende Decke der Dekoration. Doch diese Niedlichkeit hat nur dafür gesorgt, dass wir die Augen nicht offen hielten, nicht hingeschaut hatten und unser selbst in hartnäckiger Ignorant zum Mittelpunkt der Welt erklärt hatten. Wir haben unsere Haut mit Hello Kitty Tatoos dekoriert und uns mit Mangas zugedröhnt. Doch der Traum ist vorbei. Schonungslos wurde den Japanern und damit auch uns die kuschelige Decke entrissen. Fukushima.
«Während bis anhin die Japanische Kunst genau dafür bekannt war, dass sie sorglos und unterhalten, quick, frech und smart daher kam, so hat die Japan Society in New York das Gespür für das Feine gehabt.»
Just eine Woche nach der verheerenden Flut wurde der geltende Blick auf Japan revidiert. Das Besondere daran: alle Betrachter haben nun eine andere Brille auf. Denn die dreifache Katastrophe, die vom verheerenden Tsunami ausging hat den Blick verändert und geschärft. Bisher wurde die japanische Visualität von den prägenden Bilder der Holzschnittkünstler Hokusai und Hiroshige geprägt. Die klaren Formen des Fujiama haben Picasso beeindruckt. Die Welle von Hokusai gehört wohl zu den berühmtesten Bildern der asiatischen Kunstgeschichte. Doch einen Tsunami mit allen seinen schrecklichen Aspekten sehen wir erst heute auf diesem Bild.
«The artists represented in this exhibition, however, have a less ironic, more dynamic and varied view of the world, reflecting a wide range of personal histories and agendas.” Joe Earle, Director of Japan Society Gallery.
Das Brisante ist, genau diese beiden Künstler hatten auch damals den Blick Picassos geprägt und wurden gemeinsam mit dem Doyen der modernen Kunst in den Kunsthimmel aufgenommen. War das damals nicht auch eine Zeitenwende – hin zur Moderne?
«This is grown up art, created for the most part by artists who are little-known here in the United States,» Ausstellungsmacher David Elliott.
Wir sehen uns in der Ausstellung mit 16 Künstlern konfrontiert, die den Blick tiefer in die Kultur werfen. Makoto Aida will den Blick unter dem Augenmerk des «strange artist» vertiefen und malt in minutiöser Malweise vulkanförmige Menschenberge, die wie Mahnmale ihren Symbolgehalt dem Betrachter zeigen. Andere Künstler nehmen die Tradition des Japanischen auf und füllen sie mit neuen Inhalten. Inhalten, die sowohl schockieren und zugleich immer auch schön, ja sogar wunderschön sind. Die Anmutung kollidiert mit der Aussage und löst eine erstaunliche Einsicht aus: nichts mehr ist, wie es einmal zu sein schien.
Blick in die Ausstellung
httpv://www.youtube.com/watch?v=2H0eLDhKauo&feature=player_detailpage
Und dass sich der Zeitenwende-Tsunami weit über Fukushimas 30 Kilometerzone ausdehnen wird, das wissen wir eigentlich auch schon heute. Aber wir sehen nicht hin.
Interview mit Makoto Aida
httpv://www.youtube.com/watch?v=6TvMxSX9KfE&feature=player_embedded
Beteiligte Künstler: Makoto Aida, Manabu Ikeda, Tomoko Kashiki, Rinko Kawauchi, Haruka Kojin, Kumi Machida, Yoshitomo Nara, Kohei Nawa, Motohiko Odani, Hiraki Sawa, Tomoko Shioyasu, Chiharu Shiota, Hisashi Tenmyouya, Yamaguchi Akira, Miwa Yanagi, Tomoko Yoneda
Der Zeitenwende-Tsunami dehnt sich über die 30 Kilometerzone aus.