Erzählt von Carlos Laso Galbis
«2009 war ein besonderes Weinjahr. Nach dem extrem heissen August begann der Reifeprozess der Trauben viel früher als sonst. In einem hoch gelegenen und kargen kleinen Weinberg litten die 50-jährigen Reben zudem unter der Trockenheit und die Beeren schrumpften zunehmend. Eine Woche vor der geplanten Ernte waren sie Rosinen ähnlicher als Trauben. Wir ernteten die kleine Parzelle umgehend und füllten die Trauben in einen sonst kaum gebrauchten alten Bottich. Wenige Tage später begann die reguläre Ernte. Es war eine der turbulentesten, die wir je erlebt hatten, alles musste gleichzeitig geschehen, um Verluste zu vermeiden. Als wir, erschöpft und übernächtigt nach dem einwöchigen Kraftakt in einer Pause Luft holten, fragte ein Helfer, was das denn sei, das da im hinteren Keller in einem alten Bottich gäre…
Ich erinnere mich noch genau an dieses Gefühl: Mein müdes Hirn brauchte ein paar Sekunden, bis es sich an diese «Rosinen-Ernte» erinnerte, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen und eine Mischung von Scham und Ärger stieg in mir auf. Dass ich das vergessen konnte! Das Bild, das die brodelnde, gärende Masse im Bottich zeigte, war auch nicht gerade ermunternd. Es machte mich wütend und traurig.
Niemand hatte Lust und Mut, sich dem Bottich «professionell» zu widmen. Da wir noch immer alle Hände voll zu tun hatten, blieb er vorerst einfach stehen. Täglich warf ich einen Blick hinein, hoffnungslos, aber neugierig. Vier Wochen später war die Gärung abgeschlossen und als ich den «wilden» Jungwein probierte, war ich völlig überrascht: Der noch immer süsse Saft schmeckte zwar ganz anders als alles, was wir je produziert hatten, doch keineswegs schlecht. Die ungehobelten Tannine aber brauchten Reifezeit. Mit einer Handpresse trennten wir den Saft sanft von der Maische und füllten ihn in ein Holzfass. Alle paar Monate probierten wir davon und waren erstaunt, dass der süsse Wein sich ständig verbesserte. Erst nach langen drei Jahren einigten wir uns, ihn abzufüllen. Das hässliche Entlein war zum prächtigen Schwan mutiert.
Auf der einen Seite sind wir stolz auf dieses Produkt, das seinesgleichen sucht. Auf der anderen Seite schämen wir uns noch immer über unser Missgeschick und darüber, dass einer der besten Tropfen in unserer Geschichte nicht handwerklichem Können, sondern einem Zufall zu verdanken ist. Seit dem glücklichen Ende diskutieren wir natürlich intensiv, ob es uns gelingen könnte, diesen Wein regelmässig erzeugen zu können. Oder ob es dazu eben auch die Launen der Natur braucht, unter anderem einen sehr heissen und trockenen August. Das Thema wird uns noch begleiten…»