Der westliche Blick auf Derwische im Orient
Zürich – Bettelnde Wandergesellen oder ekstatische Tänzer: Ein Panorama an Portraits von Derwischen haben westliche Berichterstatter seit dem 16. Jahrhundert geschaffen. Die Ausstellung «Gemachte Bilder. Derwische als Orient-Chiffre und Faszinosum» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich zeigt exemplarisch die Entstehung und Weitergabe von Bildern der religiösen Grenzgänger aus dem Islam.
Wer denkt beim Wort Derwisch nicht gleich an die faszinierenden Drehtänzer aus der Türkei, die mit Musik und Tanz ihrer Spiritualität Ausdruck verleihen? Das persische Wort «Derwisch» hat eine lange und bewegte Geschichte. Es bezeichnet, wie das gleichbedeutende arabische «Fakir», eine arme Person, einen an der Tür anklopfenden Bettler. Derwische erscheinen erstmals im 12. Jahrhundert; sie fallen durch ihre wilden oder ekstatischen Rituale auf und sind je nach der Praxis ihres Ordens als tanzende, wirbelnde oder heulende Derwische bekannt.
Ambivalente westliche Wahrnehmung
Im Bestreben, das islamische Ordenswesen zu beschreiben, haben westliche Berichterstatter seit der frühen Neuzeit eine Vielfalt von religiösen Grenzgängern mit dem Begriff «Derwisch» bezeichnet. Ablehnung, Faszination, Bewunderung, aber auch Bemühungen zur wissenschaftlichen Einordnung charakterisieren diese Beschreibungen. Sie passen zu einer ambivalenten westlichen Wahrnehmung des Orients und prägen viele unserer Ansichten zum Islam bis heute. Die Ausstellung «Gemachte Bilder. Derwische als Orient-Chiffre und Faszinosum» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich zeigt eine Auswahl von Text- und Bildquellen aus frühen Reiseberichten und Publikationen zum Osmanischen Reich.
Archaisch anmutender Bettler
Als dürftig in Felle gekleideten und sich selbst Verletzungen zufügenden Bettler illustriert Nicolas de Nicolay 1567 den «Deruis Religieux Turc». Der französische Geograf und Botschaftsmitarbeiter im Osmanischen Reich hat mit seinem Werk Bilder von Hofleuten, Berufen, religiösen Repräsentanten und Volksgruppen veröffentlicht. Die Illustrationen Nicolays wurden als inhaltlich fundiert und unterhaltsam angepriesen und waren breit rezipiert. «Nicolays Illustrationen hatten im 16. Jahrhundert einen mächtigen Einfluss darauf, wie Menschen im türkischen Reich kategorisiert und wahrgenommen wurden», erklärt Ausstellungskurator Andreas Isler.
Um Almosen bittender Wandergeselle
Im 17. Jahrhundert etablierten sich neue Bezeichnungen für islamische Religiöse. Der britische Diplomat, Handelsmann und Geschichtsschreiber Paul Rycaut bezieht den Begriff des Derwischs vorwiegend auf den Orden der Mevlevi – aufgrund ihres Drehtanzes während des Gebets auch als «drehende Derwische» bezeichnet. Einen weiteren Typus beschreibt Rycaut als «Wanderderwisch», der von Haus zu Haus geht, um Almosen zu erbeten. Dessen zentralen Gebrauchsgegenstände, die Almosenschale, Langflöte und das Blashorn sind in der Ausstellung zu sehen.
Auffällig ist bei Rycaut, im Gegensatz zu früheren Repräsentationen, die Haltung und Physiognomie der als Derwische bezeichneten Personen. «Rycauts Abbildungen, dies macht ihr Stil deutlich, lagen osmanische Miniaturen als Vorlagen zugrunde», erklärt Co-Kuratorin Paola von Wyss-Giacosa.
In hinreissender Kreisbewegung sich versenkender Tänzer
Die Gebetspraxis der Mevlevi faszinierte europäische Besucher seit frühester Zeit. Die in den Konventen erlebte Stimmung und Dynamik der Mevlevi-Gebetspraxis in eine bildliche Form zu bringen, war hingegen schwierig. Als wirkmächtig erwies sich eine Darstellung der vergeistigt im Kreise drehenden Derwische von Jean-Baptiste Vanmour, einem flämischen Künstler. Seine 1715 in Kupferstichen veröffentlichten Sujets griffen Illustratoren immer wieder auf.
Touristenattraktion für den Reiseführer
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die religiösen Rituale in den Konventen öffentlich zugänglich – und damit zur Attraktion für Touristen. Derwische gesehen zu haben, gehörte zum Programm einer Orientreise und wurde in Reiseführern erwähnt. «Die Touristen nahmen das mit, was sie am meisten beeindruckte, sei es die unter die Haut gehenden Rituale oder die Hochachtung vor einer fremden Spiritualität. So setzte sich die Wirkmächtigkeit des Wortes ‹Derwisch› auf unterschiedliche Weise fort», erklärt Andreas Isler.
Für Postkarten inszenierte Bilder
Zu einer weiteren Dimension in der Verbreitung von Derwisch-Darstellungen führte gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Aufkommen von Postkarten. Sie transportierten die gemachten Bilder über weite Strecken. Die Bilder stammten von Fotostudios in den orientalischen Metropolen und schufen bewusste Inszenierungen. Nicht zuletzt sollten sie den Hunger von Fremden nach exotischem Bildmaterial stillen. «So unterschiedlich die mit dem Begriff ‹Derwisch› bezeichneten Typen auch waren: Etwas Freigeistiges, Widerständiges charakterisierte sie schon immer und machte sie zu Symbolgestalten einer unangepassten, freien Religionsausübung», bilanziert Andreas Isler.
«Gemachte Bilder. Derwische als Orient-Chiffre und Faszinosum» (UZH/mc/ps)
Ausstellungsinformationen
22.10.2017 bis 28.01.2018
Völkerkundemuseum der Universität Zürich
www.musethno.uzh.ch