Zürich – Zahlreiche Kunsthändler aus Europa und den USA eröffnen Niederlassungen in Hongkong, um die Insel als Plattform zu nutzen und Zugang zu den Käufern auf dem wachsenden asiatischen Kunstmarkt zu erhalten.
Von Terrence Murray, aus den Credit Suisse News
Im Jahr 2000 wollte Yang Bin die leeren Wände seines kürzlich erworbenen Hauses in Shanghai schmücken. Er ging in eine Galerie und beauftragte sie mit der Dekoration der Wände. Dafür gab er USD 120’000 aus. Bin sitzt auf einem Sofa in einer Lagerhalle ausserhalb von Beijing, in der er alle seine neu erworbenen Kunstwerke lagert, und erinnert sich: «Ich brauchte einfach etwas für meine leeren Wände».
Der Beginn einer neuer Leidenschaft
Seitdem hat Yang Bin, der durch den Verkauf von Autos reich geworden ist, nie aufgehört, Kunst zu kaufen. Heute besitzt er ca. 1000 Kunstwerke von chinesischen und westlichen Künstlern. Diese stellt er stolz auf automatischen Schiebewänden aus, die er mittels Fernbedienung verschieben kann – eine einzigartige Konstruktion, die er eigenhändig konzipiert hat. «Ich bin momentan arbeitslos», sagt er lachend – er ist immer noch Anteilseigner in seinem Unternehmen, aber nicht mehr aktiv in der Geschäftsführung tätig. «Jetzt verbringe ich den ganzen Tag damit, Kunstwerke zu kaufen», sagt er und öffnet eine Kiste mit Drucken, die erst kürzlich aus Italien eingetroffen sind. «Jeden Tag geht irgendeine Lieferung ein.» Er weiss nicht, wie viel er dafür ausgibt oder wie viel seine Sammlung wert ist. Viele Kunstwerke, die er vor zehn Jahren für einige Hunderttausend Dollar gekauft hat, werden inzwischen auf mehrere Millionen Dollar geschätzt.
Chinesische Millionäre kaufen nationale Kunst in jeglicher Form
Während sich der Kunstmarkt in den USA und Europa immer noch von der Finanzkrise 2008/09 erholt, sind es die neuen, konsumfreudigen Millionäre in China, Menschen wie Yang Bin, die die Galerien, Auktionshäuser und Kunsthändler als Kunden gewinnen möchten. Diese kaufen hauptsächlich nationale Kunst in jeglicher Form: Drucke, Kalligraphie und kaiserzeitliche Objekte – die meisten wurden während des 19. Jahrhunderts ausser Landes gebracht – sowie Objekte, die als Zeichen des Wohlstands gelten, wie Schmuck, Uhren, Edelsteine und in geringerem Masse Wein. Während der Frühjahrsauktion von Sotheby’s in Beijing erregte eine 900 Jahre alte kaiserzeitliche Keramikschale so viel Aufmerksamkeit, dass die Vorbesichtigung auf potenzielle Käufer beschränkt werden musste. Sotheby’s hofft, mindestens USD 10 Millionen für das Stück zu erhalten. «Mit der politischen Macht Chinas wächst auch das Selbstvertrauen und der Nationalstolz der Chinesen. Die Chinesen blicken gerne auf die glanzvolle Epoche des Kaiserreichs zurück», erläutert Kevin Ching, Direktor von Sotheby’s in Asien.
Beim Kauf von Kunstwerken geht es auch um Status
Die neuen chinesischen Millionäre wünschen sich alle Statussymbole, die ihren neu erreichten Wohlstand repräsentieren. «Chinesische Geschäftsleute reisen nach Europa und in die USA. Dort treffen sie auf Pinault, Arnault oder die Rockefellers und erkennen, dass es nicht ausreicht, einfach nur reich zu sein, sondern dass man auch noch Kunst kaufen und sammeln muss», sagt François Curiel, Präsident von Christie’s in Asien. Und während China immer mehr Millionäre hervorbringt, tragen nationale Kunstsammler, Auktionshäuser und Künstler zunehmend dazu bei, den globalen Markt neu zu gestalten und zu definieren. 25 Prozent der Verkaufserlöse von Christie’s stammen inzwischen von Sammlern aus der Region Grosschina (im Vergleich zu 16 Prozent im Jahr 2010). Die meisten Umsätze von Sotheby’s in Hongkong entfallen inzwischen auf China; vor fünf Jahren machten diese lediglich vier Prozent aus. Hongkong hat sich – angetrieben vom jungen chinesischen Markt – zum drittwichtigsten Marktplatz für beide Auktionshäuser entwickelt.
China ist Motor für den Kunstmarkt
Gemäss einem kürzlich veröffentlichten Bericht über die im März stattfindende Kunstmesse in Maastricht hat der chinesische Kunstmarkt sogar die Märkte in den USA und Europa überholt. Obwohl einige Branchenkenner dem nicht zustimmen, ist der Trend klar: China ist jetzt der Motor des Kunstmarkts. Auf dem Festland gewinnt ein Markt, der bis ca. 2005 nicht existiert hat, immer mehr an Gestalt. Chinesische Künstler erhalten internationale Anerkennung (beispielsweise Ai Weiwei), während lokale Galerien und nationale Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s Konkurrenz machen. «Seit 1766, dem Jahr unserer Gründung, bis vor ca. fünf Jahren war unser Hauptwettbewerber Sotheby’s. Durch Poly und Guardian (die zwei führenden Auktionshäuser in China) hat sich der Kunstmarkt in Asien verändert. Es ist das erste Mal, dass wir einen nationalen Markt nicht dominieren», erklärt François Curiel. Beide chinesischen Auktionshäuser sind dabei, Niederlassungen in New York und London zu eröffnen, um dort neue Kunden zu gewinnen und nach Kunstwerken Ausschau zu halten. Und überall in China spriessen neue Museen buchstäblich wie Pilze aus dem Boden. Einige Museen werden von Provinzregierungen finanziert, die das Image ihrer Provinz fördern wollen, während andere von privaten Initiativen unterstützt werden. Eine davon ist das Projekt der Minsheng Bank, die den Bau eines riesigen Kunstzentrums plant, das grössenmässig dem Centre Georges Pompidou in Paris oder der Tate Modern in London Konkurrenz macht. Das Zentrum soll nächsten März eröffnet werden.
Die Kunstszene in Hongkong lässt sich von China inspirieren
Angetrieben durch den chinesischen Markt entsteht eine neue Kunstszene in Hongkong, die eine Alternative zu New York oder London bieten möchte. Auktionshäuser, die vom marktfreundlichen Umfeld in Hongkong angelockt werden, lassen sich auf der Insel nieder und bringen Stück für Stück den Rest der internationalen Kunstszene mit. Die weltweit grössten Galerien haben oder planen Niederlassungen in Hongkong, um dort die besten Kunstwerke der Welt von Künstlern wie Cy Twombly bis hin zu Damien Hirst zu präsentieren. Die Hong Kong Art Fair läuft nun unter der Marke der Art Basel und hat sich zur grössten Kunstmesse weltweit nach Miami und Basel entwickelt. Die regionale Regierung ist sich des Potenzials bewusst, das Hongkong als bedeutende Drehscheibe für Kunst bietet, und tätigt umfangreiche Investitionen in wichtige Veranstaltungsorte. Derzeit laufen zwei Kulturprojekte von gewaltigem Ausmass, die so illustre Namen wie Lars Nittve, ehemaliger Direktor der Tate Gallery, und Michael Lynch, dessen Name mit dem South Bank Centre in London verknüpft ist, anziehen.
Der Trend geht hin zu zeitgenössischer Kunst
Mit der Entwicklung des Marktes entwickelt sich auch der Geschmack der chinesischen Kunstsammler. Die Sammler wenden sich allmählich der zeitgenössischen chinesischen Kunst zu und in geringerem Umfang auch der westlichen Kunst. Yang Bin hat nun einen Anselm Kiefer in seiner Sammlung sowie weitere bekannte westliche Künstler. Im Rahmen der Umgestaltung seiner Sammlung hat er früher erworbene traditionelle Kalligraphien verkauft, um sich mehr auf zeitgenössische Stücke zu konzentrieren. Ein Zeichen für die vorsichtige Öffnung des chinesischen Marktes für ein globales Publikum ist die erstmalige Teilnahme eines chinesischen Juweliers, Wallace Chan, an der diesjährigen Biennale des Antiquaires im Herbst in Paris. «Wir beobachten, dass chinesische Sammler zu unseren Auktionen kommen. Sie nehmen zwar nicht aktiv daran teil, aber ich bin mir sicher, dass sie in zwei oder drei Jahren ihre Sammlungen auf andere Bereiche ausweiten», so François Curiel von Christie’s. (CS/mc/hfu)