Wer einen eigenen kleinen Kosmos auf der Reise zwischen Welten erleben will, bucht entweder einen Flug ins Weltall (das Kleingeld dafür vorausgesetzt), oder ein Fährticket (für den Rest von uns Sterblichen). Vor allem ausserhalb der hektischen Saison lohnt das Übersetzen zwischen Ländern, Inseln, dem Festland und Inseln, um ein vertieftes Verständnis ursprünglichster Bedürfnisse zu erlangen: Sicherheit, Vergänglichkeit, Freundschaft und Empathie.
Von Helmuth Fuchs
Diesmal benutze ich die Fähre von Cagliari nach Palermo, um zwischen den beiden Inseln Sardinien und Sizilien zu wechseln. Vor Einbruch der Dunkelheit ist der Steyr im mächtigen stählernen Bauch der Ariadne verschwunden. Mit dem Namen der Tochter des Sonnengottes Helios ausgestattet, welche Zeus half, den Minotaurus zu besiegen, sollte ja kaum etwas schiefgehen.
Dass das Schiff unter griechischer Flagge fährt, ruft zwar Erinnerungen an die mythologisch bekanntesten Fährmann wach (Chairon, welcher die Toten über den Styx in die Unterwelt beförderte), weckt aber auch die Hoffnung, dass Griechen und Italiener, im Gedenken an die lange Schifffahrtstradition, die relativ kurze Strecke bei den optimalen Bedingungen (kaum Wind und Wellen) schadlos hinbekommen.
An Bord sind hört man vor allem italienisch. Kaum Touristen und das Durchschnittsalter ist für einmal eher im Bereich der U30. Die meisten kommen als Fussgänger mit leichtem Gepäck auf die Fähre, Schülerinnen, Studenten, Jugendliche. Wer nach Sizilien zurück kehrt oder dahin geht, erschliesst sich mir nicht. Aber für kurze Zeit sind einfach alle nur Reisende zwischen zwei Welten, zwei sehr unterschiedlichen Inseln. Die üppige, pralle, barocke, wenn auch teilweise etwas morbide Schönheit Siziliens als Ziel, die etwas kargere, verschlossenere, kühlere Anmut Sardiniens im Rücken.
Das Ausgeliefertsein auf den wenigen Quadratmetern des Mittelmeeres formt aus den Reisenden eine, wenn auch oft unbewusste, Schicksalgemeinschaft. Freundschaften werden intensiver empfunden, Abneigungen aufgeweicht, die Vergänglichkeit unseres Daseins rückt vor allem bei stürmischem Wellengang unvermindert ins Bewusstsein. Gedanken auf offener See müssen weiter greifen, um Halt zu finden, müssen tiefer gehen, um am Grund anzukommen.
Nach einer ruhigen Nacht empfängt uns Sizilien mit der ihr würdigen Dosis Drama am Himmel bei Sonnenaufgang. Sie steht im Kontrast zu der kühlen industriellen Stahlromantik auf Deck der Fähre.
Der Übergang von der Nacht zum Tag bei Erscheinen des nahen Zieles konzentriert nochmals alle Themen einer Reise auf wenige Minuten: Weggehen, Ankommen, Erwartungen, Unsicherheit, Abschied nehmen, Hoffnung, Aufbruch, Angst vor dem Scheitern, Neugier auf Neues.
Die Abschiedsszenen auf dem Schiff mischen sich mit denen der Begrüssung am Quai und Palermo schluckt alle Ankommenden und verteilt sie spurlos in die chaotische Hektik des beginnenden Wochenendes.