Kirchner Museum Davos: „Lisl Ponger. Schöne Fremde“
Lisl Ponger, «Die Beute» 2006
Davos – Die Ausstellung «Lisl Ponger: Schöne Fremde» ist die zweite Etappe eines thematischen Dialogs zwischen Werken von Ernst Ludwig Kirchner und zeitgenössischen Positionen. Die österreichische Künstlerin Lisl Ponger (*1947) arbeitet seit den 1970er Jahren über kulturelle Stereotype und Blickkonstruktionen an der Schnittstelle von Kunst, Kunstgeschichte und Ethnologie. Sie bedient sich der Medien Fotografie, Film und Installation, um die Vorstellungen des „Anderen“ und ihre bildliche Repräsentation kritisch zu befragen.
Die europäische Kunstgeschichte hält zahlreiche Bilder für das Fremde bereit, die zwischen Diffamierung und Ausgrenzung einerseits und Exotismus und Sehnsucht andererseits changieren. Gerade die Aneignung und Nachahmung sogenannter „primitiver Kunst“ bildete eine wesentliche Inspirationsquelle und Voraussetzung für die künstlerische Avantgarde des 20.Jahrhunderts. Der Besuch ethnografischer Sammlungen lieferte zahlreiche Anregungen für die Expressionisten und Kubisten. Auch von Ernst Ludwig Kirchner ist bekannt, dass er sich intensiv mit der Kunst Westafrikas und Ozeaniens beschäftigt hat.
Präzise choreografierte Requisiten, Attribute und Symbole
Lisl Ponger versammelt in ihren fotografischen und filmischen Tableaus eine Fülle von Bildinformationen durch präzise choreografierte Requisiten, Attribute und Symbole und erzeugt so eine „kunsthistorische Atmosphäre“. Ihre Neuinszenierungen von Werken Antonio de Pereda, Emil Nolde, Leni Riefenstahl, Man Ray und Georg Baselitz verweisen auf die enge Verflechtung von Kolonial- und Kunstgeschichte. Wiederholt macht Lisl Ponger auf die europäische Fetischisierung von Stammeskunst-Objekten im Museum aufmerksam. In der Wiener Secession gründet sie 2014 ein fiktives Museum für fremde und vertraute Kulturen (MuKul) und zeigt dort die Ausstellung The Vanishing Middle Class, die das Verschwinden der Mittelklasse wie in einer ethnologischen Sammlung dokumentiert.
Die Fotografie Die Beute von 2006 ist ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie vielschichtig die Künstlerin die kolonialen Ikonografien in Nachbildern gestaltet: Eine junge Frau, die ein goldfarbenes Kopftuch und ein T-Shirt mit Gauguin-Motiv trägt, ist gedankenverloren in die Betrachtung eines Kunstbuchs vertieft. Auf dem Arbeitstisch vor ihr stehen afrikanische und fernöstliche Kleinplastiken, im Regal hinter ihr sind weitere Kunstbücher aufgereiht. Das Interieur erinnert an das Sigmund Freud Museum, während die Lichtregie und der Habitus der jungen Frau einem Gemälde von Jan Vermeer entsprungen zu sein scheinen.
Entstehung und Wirkungsmächtigkeit von Bildern über die „Anderen“
Lisl Pongers fotografische und filmische Arbeiten zeigen die Entstehung und Wirkungsmächtigkeit von Bildern über die „Anderen“; ihre bildnerischen Rekonstruktionen sind zugleich aber auch immer Dekonstruktionen des europäischen Blicks auf die Welt. Die Migration und Wiederholung von Formen, Dingen, Allegorien und Symbolen ist konstitutiv für ihr Werk. Für die legendäre Arbeit Fremdes Wien (1991) verwendet Lisl Ponger Filmmaterial als fotografisches Medium. Sie unternimmt eine Weltreise durch den Mikrokosmos Wien und filmt über 70 verschiedene Kulturen und Nationen. Elf Jahre später schneidet sie aus dem Material den Film Phantom Fremdes Wien, in dem die Ergebnisse ihrer teilnehmen Beobachtung nach verschiedenen Kategorien geordnet und der eigene postkoloniale Blick kritisch reflektiert werden.
In der fotografischen Serie Xenographische Ansichten (1995) tritt Lisl Ponger erstmals selbst in ihren inszenierten Bildwelten auf und zwar als Wissenschaftlerin im kolonialen Habitus des 19. Jahrhunderts. In der Rolle der „Xenographin“ unternimmt sie eine Expedition „zu den Menschen aus den Städten, Vorstädten und Dörfern des östlichen Österreich“ und entdeckt zahlreiche Menschen, die gerne jemand Anderes sein möchten bzw. spielerisch in eine andere Identität übergewechselt sind. Die „Schöne Fremde“ ist hier zum Teil der inneren Heimat geworden; sie ist Bestandteil des Doppellebens von Einheimischen, die zugleich auch Fremde sind. Die Ausstellung «Lisl Ponger: Schöne Fremde» versammelt eine Auswahl von fotografischen und filmischen Arbeiten der vergangenen 20 Jahre. (KMD/mc/hfu)