Kunsthaus Zürich: Hodlers Monumentalwerke in neuem Kontext
Sigmar Polke, Levitation, 2005 / Kunstharz auf Gaze, auf strukturiertem Gewebe, 300 x 500 cm / Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde (© 2015 ProLitteris, Zürich)
Zürich – Bis zum 3. Januar 2016 zeigt das Kunsthaus Zürich unter dem Titel «Hodlers Marignano – und andere Triumphe der Kunst» bedeutende Grossformate von Ferdinand Hodler. Die selten zu sehenden Gemälde stehen im Kontext mit Werken von Künstlern wie Heinrich Füssli, Anselm Kiefer, Sigmar Polke und Fischli/Weiss. Diese temporäre Konfrontation erlaubt einen neuen Zugang zu einem wichtigen Teil von Hodlers Schaffen.
Anders als die Landschaften, Bildnisse oder symbolistische Kompositionen werden Hodlers historisierende Grossformate zuweilen als altertümlich und «allzu schweizerisch» beurteilt. Er behandelte Themen oder wählte Symbole, die heute nicht überall auf Zustimmung stossen. Die Ausstellung wirft einen frischen Blick auf Gemälde aus dem Umkreis der Marignano-Fresken, auf Werke wie «Turnerbankett» (1876–78) und «Schwingerumzug II» (1885–87) sowie das selten gezeigte Bildnis von General Wille und rückt aus Anlass des Jubiläums der Schlacht von Marignano die künstlerische Essenz von Hodlers historisch relevanten Schweizer Motiven ins Licht.
Ein neuer Kontext: Ideal trifft auf Beiläufigkeit
Um einen befreiten Blick auf diese Gemälde zu ermöglichen, werden sie für die Dauer der Präsentation u.a. mit Werken deutscher und Schweizer Künstler der Zeit von 1741 bis 1990 zusammengebracht. Arbeiten von Heinrich Füssli, Anselm Kiefer, Sigmar Polke und Fischli/Weiss setzen einen Bezugsrahmen, der Hodlers zumeist monumentale Bilder herausfordert. Durch die Kombination mit Kunst aus einer anderen Entstehungszeit, einer anderen Konzeption und Machart wird der künstlerische Kern der Werke Hodlers aktiviert und neu erfahrbar gemacht. Eine aussergewöhnliche Gruppe von Objekten von Peter Fischli und David Weiss aus schwarzem Kunststoff aus dem Jahr 1987 stellt einfache Gegenstände wie eine Vase, ein Sitzkissen oder eine Mauer dar. Sammlungskonservator Philippe Büttner hat die Werke so im Raum platziert, dass sie auf die Werke Hodlers bzw. der anderen Künstler bezogen werden können. Die skulpturale Schlichtheit und scheinbare inhaltliche Anspruchslosigkeit der Arbeiten von Fischli/Weiss bilden dabei einen Gegensatz zu den monumentalen, inhaltlich aufgeladenen Werken Hodlers, Füsslis und Kiefers, aber auch zu den Bildern Polkes.
In Marignano siegen – mit der Kunst
Trotz der enormen Unterschiede spiegeln die Werke des Künstlerduos sozusagen «auf Alltagshöhe» inhaltliche Aspekte der Hodler-Bilder und machen diese wieder zugänglich: Ein Besteckkasten von Fischli/Weiss etwa, der leer ist und somit keine Messer oder Gabeln bereithält, kommentiert auf lakonische Weise Hodlers eindrucksvolles Bild der geschlagen vom Schlachtfeld ziehenden Marignano-Krieger, deren Kriegs-Besteck (Schwerter, Hellebarden und Spiesse) nicht mehr zu obsiegen vermochte. Die Präsenz der «Nicht-Pathetiker» Fischli/Weiss hilft überdies, sich einen weiteren Aspekt der Marignano-Bilder zu vergegenwärtigen: Hodler wollte in ihnen nicht nur dem Ereignis «Marignano» eine neue künstlerische Form verleihen. Es ging ihm darüber hinaus auch um eine andere Auseinandersetzung: seinen eigenen Kampf als Künstler um neue Ausdrucksformen – einen Kampf, den er mit seinen Marignano-Fresken am Ende übrigens gewonnen hat. Trotz heftigen Widerstands von konservativen Kräften gegenüber seiner Wettbewerbseingabe konnte er seine Wandbilder, von denen das Kunsthaus in dieser Accrochage einige Vorstufen zeigt, 1899/1900 schliesslich in der Waffenhalle des Landesmuseums realisieren. Damit setzte sich seine neue, moderne Kunstauffassung durch, die mit den Eigenwerten von Formen und Farben arbeitete; der zuvor massgebliche Realismus wurde überwunden.
Helden auf der Leinwand – von der Renaissance bis zu Polke
Ebenfalls in die Ausstellung integriert ist eine andere Inkunabel des virtuosen künstlerischen Umgangs mit dem Bilderkreis zur frühen Schweizer Geschichte: Heinrich Füsslis kraftvoller Rütlischwur von 1779-1781. Neben Hodlers frühen Künstlerschwur «der Studierende» von 1874 gesetzt und mit einem wortkargen Schränkchen von Fischli/Weiss kombiniert, fügt es sich kraftvoll in die Präsentation ein. Eine weitere Dimension wird mit Anselm Kiefers grossem Bild «Parsifal» von 1973 greifbar, in dem ein an sich banaler Estrich zum menschenleeren Spielplatz eines geheimnisvollen Geschehens wird. Während in den unspektakulären Objekten von Fischli/Weiss das Heldentum keinerlei Rolle spielt, thematisiert Kiefer auf seinem Dachboden mit einem Hocker, einer Schale und einigen Wörtern raunend die Figur des mystischen Helden Parsifal, dem Richard Wagners in Zürich komponierte Oper gewidmet ist. Sigmar Polkes Riesenbild «Levitation» von 2005 schliesslich bringt auf seine Weise eine «Erhöhung» ins Spiel, wie sie in ganz anderer Art auch in Hodlers «Schwingerumzug» dargestellt ist.
Wie reagiert Hodlers Bild des gefeierten Athleten auf Polkes Gemälde, das anhand der Thematisierung künstlerischer Techniken virtuos – und nicht ohne Ironie – auch inhaltliche Möglichkeiten von Kunst collagiert? Wiederum im Marignano-Kontext von Relevanz ist ein Werk des frühen 16. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein aussergewöhnliches Gemälde des oberitalienischen Malers Bartolomeo Montagna, das den kreuztragenden Christus zeigt. Dieses Bild entstand um 1515 in Norditalien und somit genau zu der Zeit und unweit des lombardischen Ortes der Schlacht von Marignano. Es erscheint neben Hodlers überragendem, noch heute atemberaubenden Bild eines blutbedeckten, verwundeten Kriegers, das der Künstler im Vorfeld der Entstehung der Marignano-Fresken schuf. Neben Polkes «Levitation» mit seinen reichen malerischen Texturen platziert, offenbart dieses Bild eindrucksvolle malerische Qualitäten. Wenn der Blick schliesslich von diesem spannungsvollen Krieger zu den beiden melancholisch-gebückten älteren Männern geht, die als verkleidete Altschweizer Krieger den Triumphzug von Hodlers Schwingerkönig begleiten, sieht man vollends, dass unser «Nationalmaler» Hodler sehr nuanciert mit den Vokabeln der Geschichte umzugehen verstand. (Kunsthaus Zürich/mc/pg)
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, CH–8001 Zürich, Tel. +41 (0)44 253 84 84, www.kunsthaus.ch
Fr–So/Di 10–18 Uhr, Mi/Do 10–20 Uhr. Montags geschlossen.
Eintritt Sammlung: CHF 15.-/10.- reduziert und Gruppen. Bis 16 Jahre und mittwochs gratis.
Vorverkauf: Zürich Tourismus. Hotelzimmerbuchung und Ticketverkauf. Tourist Service im Hauptbahnhof, Tel. +41 44 215 40 00, [email protected], www.zuerich.com.
SBB RailAway-Kombi. Ermässigung auf Anreise und Eintritt: am Bahnhof oder beim Rail Service, 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. ab Festnetz), www.sbb.ch/kunsthaus-zuerich.