Zürich – Vom 15. November 2024 bis zum 9. Februar 2025 zeigt das Kunsthaus Zürich das grafische Werk des Schweizer Künstlers Albert Welti. Im Dialog mit anderen Vertretern fantastischer Druckgrafik feiert die Ausstellung den überschäumenden Einfallsreichtum Weltis und verwandelt das Kabinett für einige Monate in ein betörendes Reich der Fantasie.
Albert Welti (1862 Zürich – 1912 Bern) ist als der grosse «Unzeitgemässe» in die schweizerische Kunstgeschichte eingegangen. Als entschiedener Kritiker des zeitgleich seine Erfolge feiernden Impressionismus orientierte er sich lieber an Vorbildern wie den altdeutschen Meistern und zollte selbst noch in späteren Jahren seinem einstigen Lehrer Arnold Böcklin höchsten Respekt. Allerdings war er keineswegs blind für die Qualitäten einiger künstlerischer Neuerer. Weltis Gemälden ist die Verehrung vergangener Epochenstile unverkennbar eingeschrieben, doch wäre es falsch, wenn man seine Werke als epigonal bezeichnen würde. Dafür besitzt seine Kunst viel zu sehr jenen eigenwilligen und unverwechselbaren Charakter, der bis heute nichts von seiner Anziehungskraft eingebüsst hat.
SCHATZKAMMER DER FANTASIE
Während Welti vor allem als Maler in Erinnerung geblieben ist, wurde sein grafisches Werk bislang nur wenig beachtet, und das, obwohl es an fantasievollen, ja kühnen Bildeinfällen so überreich ist. In einer Kritik von 1926 wird diese Seite des Künstlers noch alles andere als positiv gewertet: «Die spitze Radiernadel hat Welti […] zu krausen Gebilden verlockt. Hier war er vor verworrenen Abenteuern seiner Phantasie und allegorischen Irrfahrten nicht so sicher wie im gemalten Bild.»
Kaum haltbar erscheint diese Feststellung, wenn man sich auf den Fantasten Welti einlässt und sich der Fülle seiner Radierungen zuwendet, die noch dazu alle Formate umfasst: von Gelegenheitsgrafik bis zu repräsentativen Grossformaten, von den Grössen XS bis zu XL. Die Arbeiten erscheinen dann nicht als «verworrene Abenteuer» oder «Irrfahrten», sondern als Schatzkammern der Fantasie, die in einem konkreten kunsthistorischen Bezug stehen. Weggefährten im Geiste, darunter Francisco de Goya, Giovanni Battista Piranesi oder Max Klinger, werden hier zweifellos inspirierend gewirkt haben. Und auch der Einfluss von Weltis Lehrer Böcklin muss geltend gemacht werden, wobei ihn ausgerechnet Letzterer von der Grafik abzubringen suchte und den Standpunkt vertrat: «Malen soll man!»
EINLADUNG IN WELTIS WUNDERSAME TRAUMWELTEN
Welti aber sollte das nicht von der intensiven Beschäftigung mit der Druckgrafik abhalten, zumal dem Medium auch eine ausgleichende Funktion zukam: So erlaubte sich Welti in der Radierung, wie sich sein Sohn erinnerte, «ausfällig zu werden, wenn ihn die Galle plagte». Mehr noch: Die Grafik diente ihm als eine Art Ventil, wenn ihn offizielle Aufträge bedrängten oder allzu sehr aufrieben. Entsprechend ungestüm fährt er mit der Radiernadel über die Druckplatten und lässt seinem Einfallsreichtum freien Lauf. Noch in kleinsten Gelegenheitsarbeiten, seien es Einladungskarten, Ex Libris-Blätter oder Neujahrskarten, wimmelt es nur so von Spukgestalten und Bizarrerien.
Was dabei selten fehlt, ist Weltis beissender Humor. Sogar bei einem Meisterblatt wie Weltis «Fahrt ins 20. Jahrhundert», dessen Düsternis von einem Goya nicht eindrücklicher hätte inszeniert werden können, bricht sich die pessimistische Sicht auf das gesellschaftliche Treiben mit jeder Menge Sarkasmus Bahn. Fantastik und Bildwitz – in Weltis Grafiken zeigen sich diese bildbeherrschenden Faktoren als zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Da das Kunsthaus Zürich über einen grossen Bestand an Druckgrafiken Weltis verfügt, kann für diese Ausstellung aus dem Vollen geschöpft werden. Herausgekommen ist eine Schau, die sich als Einladung an das Publikum versteht, in die wundersamen Traumwelten einzutauchen, die Welti mit den Mitteln des Schwarz-Weiss für unsere Imagination bereithält. Im Dialog mit anderen Vertretern fantastischer Druckgrafik feiert die Ausstellung den überschäumenden Einfallsreichtum dieses Künstlers und verwandelt das Kabinett für einige Monate in ein betörendes Reich der Fantasie.