Kunsthaus Zürich zeigt «Barockes Feuer – Die Grafik des Giovanni Benedetto Castiglione»

Castiglione, Heidnische Opferszene, Privat. (Bild: Kunsthaus Zürich)

Zürich – Vom 10. Dezember 2021 bis 6. März 2022 würdigt das Kunsthaus Zürich als erste Institution im deutschsprachigen Raum das grafische Werk des virtuosen Barockkünstlers Giovanni Benedetto Castiglione (1609–1664). Dieser innovative Meister, der mit seinen Grafiken Rembrandt nacheiferte, erfand im 17. Jahrhundert die Monotypie. Seine malerischen Ölpinselzeichnungen waren eine eminente Inspirationsquelle für nachfolgende Künstler. Zu sehen sind selten gezeigte Werke aus zahlreichen europäischen Sammlungen.

Castiglione steht für alles, was noch heute am Barock so fasziniert: Die Feier des genialen künstlerischen Einfalls, die üppige Prachtentfaltung und das Streben nach sinnlicher Betörung des Publikums. Dennoch ist der Genuese, den man auch unter dem Namen «Il Grechetto» kennt, der grosse Fremde unter den vielgerühmten Künstlern Italiens. Die letzte umfassende Ausstellung, die sein grafisches Werk in den Mittelpunkt stellte, apostrophierte ihn dementsprechend als «Lost Genius». Zwischen Tizian, Bernini und Poussin – Künstler, die er allesamt ausgiebig rezipierte – hat er seinen eigenen Weg gefunden und ein hochgradig individuelles Werk hinterlassen, das die Kuratoren Jonas Beyer und Timothy J. Standring anhand von rund 80 Werken auf Papier in einer repräsentativen Werkschau vereinen. Es ist die erste monografische Ausstellung seines grafischen Œuvres im deutschsprachigen Raum.

ZEICHNUNGEN VON LEICHTER HAND
Die souveräne Beherrschung der Zeichnung, die den Vergleich mit seiner Malerei nicht zu scheuen braucht, machte Castiglione zu einem Ausnahmekünstler des 17. Jahrhunderts. Mit stupender Nonchalance verstand er es, seine Motive auf das Papier zu werfen, wobei er sich einer ausser¬gewöhnlichen Technik bediente: Er mischte seine Pigmente mit Leinöl – wahrscheinlich in Reaktion auf die durch Rubens und van Dyck popularisierte Kunstform der schnellen Ölskizze auf grundierten Holztafeln – und konnte je nach Sättigungsgrad des Pinsels eine ganze Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten abdecken: von einer malerisch fliessenden Linienführung bis hin zu eher spröden, expressiven Strichen. Die Ungezwungenheit, mit der er seinen ölgetränkten Pinsel über das Papier führte, veranlasste schon das zeitgenössische Publikum dazu, die Pinselführung als «grazioso» und «facile» zu charakterisieren. «Facile» – «einfach» – freilich nicht abwertend, sondern im Sinne einer höchsten Virtuosität verstanden: So beherrschte der Künstler den Schein der Mühelosigkeit, die simulierte Unbeschwertheit im Umgang mit einer eigentlich herausfordernden Aufgabe, bis zur Perfektion.

EIN STAR UNTER DEN EINGEWEIHTEN
Dass seine Ölpinselzeichnungen, die sich als kleine «gezeichnete Gemälde» umschreiben liessen, nicht etwa der Vorbereitung eines grösseren Werkes dienten, sondern in ihrem eigenen Recht standen, erklärt ihre hohe Wertschätzung unter gefeierten Künstlern wie Tiepolo und Fragonard. Auch bei legendären Kunstkennern, darunter etwa dem Grafen Francesco Algarotti, standen Castigliones Arbeiten hoch im Kurs. Und noch heute liegt der grösste Bestand an Zeichnungen Castigliones in ehrwürdigen Händen – namentlich im Besitz der British Royal Collection, aus deren Bestand in Windsor Castle das Kunsthaus über ein Dutzend der reizvollsten Blätter zeigen darf. Hinzu kommen Werke aus nicht minder kostbaren Sammlungen, etwa den Devonshire Collections in Chatsworth House oder der Collection Frits Lugt, welche in der Fondation Custodia in Paris beheimatet ist.

ZEICHNUNG, RADIERUNG, MONOTYPIE
Die Zeichnungen Castigliones sind freilich nur eine Seite der Medaille. Ebenso einzigartig erweist sich der Künstler im Bereich der Druckgrafik. Seine Radierungen stehen ganz in der von Jacques Callot begründeten Tradition des «capriccio» und greifen ebenso geheimnisvolle wie exzentrische Sujets auf, Szenen etwa aus den Apokryphen oder der Mythologie, die sich zwischen im Bildraum verstreuten und der Verwitterung preisgegebenen Objekten aus unvordenklichen Zeiten abspielen. Seine Handschrift bleibt auch in den Radierungen unverwechselbar. So bestechen die Grafiken nicht zuletzt durch die Art ihrer Umsetzung: Castiglione arbeitete in seinen Radierungen mit nervös vorgetragenen Liniengeflechten und kleinen, ineinander verschlungenen Häkchen, die geradezu naturwüchsig die Bildfläche überziehen. Dieser Suche nach einer höchst individuellen Formensprache ist es wohl auch zu verdanken, dass Castiglione nie damit aufhörte, neue Ausdrucksmittel zu erproben. Die Entwicklung der Monotypie gehört dazu, als deren Erfinder er gilt. Kein Wunder, dass das monotypische Verfahren, bei dem direkt auf eine Platte gemalt und diese dann abgedruckt wird, als hybride Technik gilt. Sie oszilliert zwischen Zeichnung und Druckgrafik und weist Castiglione einmal mehr als Grenzgänger zwischen den Medien aus. Dramatischste Helldunkel-Effekte sind mit diesem Verfahren zu erreichen, das in den grafischen Künsten seiner Zeit ohne jeden Vergleich dasteht.

DER REIZ DES VERMEINTLICH UNFERTIGEN
Geradezu modern wirkt es, wie Castiglione auf eine Ästhetik des scheinbar Unfertigen und Fragmentarischen setzt. Viele seiner Radierungen erwecken den Eindruck von Fingerübungen, die nicht bis zum Ende ausformuliert sind. Das hebt sie auf eine Stufe mit der Druckgrafik seines grossen Zeitgenossen Rembrandt. Castigliones Zeichnungen wiederum sind oft so rasant zu Papier gebracht, dass man den Prozess ihrer Entstehung förmlich nachvollziehen kann. Ihnen fehlt ein abschliessendes «finish» – und das mit voller Absicht, sollen doch die Betrachterinnen und Betrachter gerade von seiner virtuosen Handschrift in Bann geschlagen werden.

Die Ausstellung «Barockes Feuer» wird unterstützt von der Kythera Kultur-Stiftung, Düsseldorf, der Wolfgang Ratjen Stiftung, Vaduz, der Tavolozza Foundation und einer Stiftung, die ungenannt bleiben möchte. (Kunsthaus Zürich/mc/ps)

Kunsthaus Zürich

Exit mobile version