Bern – Im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 widmet das Kunstmuseum Bern dem bedeutenden Schweizer Künstler und Bauhaus-Meister Johannes Itten (1888-1967) eine Ausstellung, die zum ersten Mal das utopische Projekt Ittens, Leben und Kunst auf ganzheitliche Weise zu verschmelzen, ins Auge fasst.
Wie nur bei wenigen Künstlern sind für Johannes Itten Kunst und Leben eng miteinander verbunden: Vielfältig spiegeln sich persönliche Erlebnisse und weltanschauliche Reflexionen in seiner Kunst. Zentrale Ausstellungsstücke bilden die neu erforschten und bislang nicht in diesem Umfang ausgestellten Tage- bzw. Skizzenbücher Ittens, die ab 1913 seine künstlerische Praxis begleiten. Im Zusammenspiel von Schlüsselwerken seines malerischen Werks mit zahlreichen Seiten aus seinen Tagebüchern wirft die Ausstellung einen neuen Blick auf Ittens bislang unbekannte Form der zeichnerischen Welterschliessung und auf seine hiervon ausgehenden künstlerischen Werkprozesse werfen.
Zentral sind die neu erforschten und bislang nicht in diesem Umfang ausgestellten Tagebücher, die zugleich Skizzenbücher Ittens sind, die als Blöcke von mehreren Hundert Seiten erstmals in ihrer ganzen thematischen Bandbreite gezeigt werden: Dort sind nicht nur Ittens bahnbrechende kunsttheoretischen Überlegungen u.a. zu seiner Farbenlehre nachzuvollziehen, sondern auch seine Gedanken zu einer Elementarlehre der Kunst, seine in diesem Ausmass unbekannten Studien zu Alten Meistern, aber auch Lektürespuren zu esoterischen und naturwissenschaftlichen Ideen seiner Zeit.
«Am Beispiel Johannes Ittens stellt die Ausstellung gleich mehrere etablierte kunsthistorische Narrative zur Moderne auf den Prüfstand: Konsequenter als viele andere hat sich Johannes Itten schon früh einem konzeptuellen Kunstbegriff und Ideen der Lebensreform zugewandt, um Kunst und Leben miteinander zu verbinden. Seine Skizzenbücher zeigen einen Künstler im steten Prozess des Entwerfens, der künstlerischen Reflexion, des Wechsels zwischen Abstraktion und Gegenstandsdarstellung. Zugleich hat Itten ein halbes Jahrhundert vor Joseph Beuys sein Ideal, dass ‹Jeder Mensch bildnerisch begabt› ist, propagiert.» Christoph Wagner, Institut für Kunstgeschichte, Universität Regensburg
Diese Ideen verbinden sich mit seinen Notizen zum Lebensalltag, genauen Notaten und Skizzen: etwa von der Geburt seines Sohnes, die er als Künstler und Vater skizzierend dokumentierte. Vorstellungen von vegetarischer Ernährung, Atemlehre, rhythmischer Gymnastik und anderen aktuellen Elementen einer lebensreformatorischen Transformation des Lebens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sind hier präsent.
Untrennbar mit seinem Kunstverständnis verbunden sind jedoch auch kulturhistorische Entwicklungsvorstellungen, die besonders in seinen Vorträgen deutlich rassistische Züge tragen – davon zeugen ebenfalls ausgestellte Vortragsmanuskripte der 1920er Jahre. In für uns heute befremdlichen Formulierungen von der «Weissen Rasse, die Gott in sich erkannte» geben sie Einblick in elitistische Denkstrukturen, die in Kreisen der europäischen Avantgarde weit verbreitet waren. Itten zeigt sich hier u. a. geprägt von theosophischen Weltentwürfen und Entwicklungsvorstellungen der Mazdaznanlehre, die gerade durch den intensivierten Kontakt mit anderen Weltkulturen in der Epoche des Kolonialismus anfangs des 20. Jahrhunderts Hochkonjunktur hatten.
«Ittens radikal innovatives künstlerisches und pädagogisches Werk ist einer der wichtigsten Schweizer Beiträge zur Moderne und zur Kunstvermittlung im 20. Jahrhundert. Zugleich hat er sich, wie eine ganze Reihe von europäischen Intellektuellen seiner Zeit – Rudolf Steiner kommt hier eine zentrale Rolle zu – mit rassistischen Kulturphilosophien identifiziert. Die Ausstellung zeigt Itten umfassend in allen seinen Facetten, anhand von umfangreichem, noch nie ausgestelltem Dokumentationsmaterial, Vortragsmanuskripten und Tagebüchern und bietet damit die Gelegenheit sich ein nuanciertes Bild von Ittens Künstlerpersönlichkeit zu machen.» Nina Zimmer, Direktorin Kunstmuseum Bern – Zentrum Paul Klee
Die als Rundgang angelegte Ausstellung entlang Johannes Ittens Lebensstationen von 1913 bis 1938 ermöglicht es, neue Facetten des Künstlers und seines vielfältigen Schaffens zu entdecken. Die Ausstellung spürt Ittens Entfaltung von den Anfängen in der Schweiz über seine Lebensstationen in Stuttgart, Wien, Weimar und Herrliberg nach und umfasst auch seine bisher wenig beleuchteten Engagements in Berlin, Krefeld und Amsterdam, bevor er, als «entarteter» Künstler in Deutschland gebrandmarkt, in die Schweiz zurückkehrt. (mc/pg)