Maurice de Mauriac: «Zürich first», dann die Welt

Maurice de Mauriac

Die Brüder Massimo (r.) und Leonard Dreifuss mit ihrem Vater Daniel, der sich 2020 aus der operativen Unternehmensführung zurückgezogen hat. (Bild: zvg)

Maurice de Mauriac ist kein französischer Landadliger, sondern eine Zürcher Uhrenmanufaktur, die in zweiter Generation von den Brüdern Massimo und Leonard Dreifuss geführt wird. Weil auch sie Laden und Atelier an der Tödistrasse geschlossen halten müssen, liefern sie ihre edlen Uhren mit einem uralten Land Rover, dem Velo oder gar per Boot aus.

von Mario Walser

Massimo und Leonard, wie beschreibt ihr einem Laien, was ihr täglich tut?

Massimo: Wir sind eine relativ kleine, in Zürich beheimatete Uhrenmarke. Die Stadt prägt uns als Inhaberfamilie mit ihrer Swissness, ihrer Tradition, so sehr wie mit ihrer Modernität und Internationalität. Wir sind ein Familienunternehmen. Wir lieben, was wir machen – mechanische Uhren. Leonard: Es geht uns nicht darum, die Uhr in ihrer Grundfunktion neu zu erfinden, sondern immer wieder überraschende Uhrenmomente zu kreieren. Ein wiederkehrendes Grundmotiv bei unseren Uhren ist die austauschbare Lünette, die wir patentieren lassen haben. Hierdurch können unsere Kund*innen ihrer Uhr auch nach dem Kauf flexibel und schnell ein neues Erscheinungsbild verleihen.

Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung in eurem Unternehmen?

Leonard: Einen sehr hohen, obwohl wir hochwertige mechanische Uhren herstellen, die über keinerlei digitale Funktionen verfügen. Aber wir nutzen selbstverständlich alle digitalen Kommunikationsmöglichkeiten. So sind wir beispielsweise mit Lieferanten in letzter Zeit noch mehr als sonst schon via Videochat in Kontakt. Auch in der Entwicklung und der Produktion sind heute digitale Informationen gefragt. Und digitale Kanäle verliehen uns einen gewaltigen Schub, als es darum ging, die Maurice-de-Mauriac-Community auf- und vor allem auszubauen. Ein Beispiel zur Illustration: Trip Advisor, die wohl weltweit führende Touristikwebsite, die individuelle Erfahrungsberichte von Reisenden veröffentlicht, hat uns seit 2016 jedes Jahr zum beliebtesten Geschäft in Zürich erkoren. Das vergrösserte unsere Reichweite und das Renommee natürlich massiv.

Unsere digitalen Aktivitäten nutzen wir logischerweise auch in puncto Verkaufssteuerung. Massimo: Inzwischen gehören über 100 000 Menschen zu unserem Netzwerk. Und dieses gilt es zu pflegen, denn trotz allen digitalen Segnungen – Menschen spüren, ob etwas authentisch ist und mit Leidenschaft geschieht. Unsere Community spürt das bei uns. Und zwar schon seit 30 Jahren. Wir stehen auf den Schultern eines Giganten, wenn es darum geht, Menschen für etwas zu begeistern.

Muss man als Uhrenhersteller Smartwatches im Programm haben?

Massimo: Für uns als Manufaktur ist das kein Geschäftsfeld. Uns ist bewusst, rund 30 Prozent der Smartwatch-User trugen früher nie eine Uhr. Ein spannendes Kundensegment, das sich da eröffnet, weil sich diese Menschen hoffentlich früher oder später für die Vorzüge einer klassischen Uhr interessieren werden. Wenn man aber kein wirklich erstklassiges Konzept hat, also keine kreative und hochwertige Antwort auf die klassische, analoge Uhr, sollte man die Finger davon lassen. Da haben schon Grosse der Branche versagt.

Leonard: Auch in Sachen Nachhaltigkeit ist das ein Desaster. Die meisten Smartwatches kann man eigentlich nach ein paar Jahren wegschmeissen, weil die Hersteller beispielsweise plötzlich keinen Support mehr für das Betriebssystem bieten. Ich habe noch nie davon gehört, dass Smartwatches vererbt werden, was bei klassischen Uhren häufig der Fall ist.

Die Kraft der Familie
Der ehemalige Investmentbanker Daniel Dreifuss präsentierte 1997 unter dem Namen Maurice de Mauriac seine erste Uhr, einen Automatik-Chronografen mit mechanischem Werk. Die Uhren werden seither im eigenen Atelier mitten in der Zürcher Innenstadt hergestellt und verkauft. Die beiden Dreifuss-Brüder wurden schon im Primarschulalter im väterlichen Unternehmen miteingebunden. Seit letztem Jahr haben sie gemeinsam die operative Führung übernommen. Massimo hat einen Master der ZHAW und hat unter anderem auch in Hongkong und Dublin studiert. Nach seinem Studienabschluss arbeitete er für Unternehmen wie RUAG Defence und Oracle NetSuite. Er kümmert sich im Unternehmen um das Prozessmanagement und das Geschäftswachstum. Leonard hat einen BA in Visueller Kommunikation der ZHdK, studierte auch in Paris und ist zuständig für alle grafischen und gestalterischen Aspekte. Vater und Gründer Daniel Dreifuss (61) hat sich 2020 aus der operativen Unternehmensführung zurückgezogen.

Welchen Anteil in der Wertschöpfungskette bei Maurice de Mauriac hat die Schweiz und welche Anteile haben andere Länder?

Massimo: Bei uns gilt im Sourcing: Zuerst immer Zürich, danach dehnen wir den Beschaffungsradar auf die Schweiz und die benachbarten europäischen Länder aus. Entscheidend für unsere Marke ist beim Sourcing aber nicht der Preis, sondern die Qualität. Produziert wird jede Uhr aber ausnahmslos in Zürich an der Tödistrasse in unserem Atelier, von unseren Uhrmachern unter unseren Augen. Leonard: Hin und wieder gibt es im Geschäft übrigens auch Uhrmacherkurse. Ein Unitas-Werk wird unter kundiger Führung auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Wer also genau wissen will, wie komplex das Werk einer mechanischen Uhr ist, kann das hier in unserem Atelier in einem mehrstündigen Kurs unter fachkundiger Leitung erfahren.

Wie müssen eure Lieferanten aufgestellt sein, um überhaupt «in die Kränze» zu kommen?

Massimo: Sie müssen vor allem hochwertige Qualität liefern. Sie sollten so nah wie möglich ansässig sein. Das ist gerade in Zeiten mit vulnerablen Lieferketten ein unschlagbarer Vorteil. Wir halten unseren Lieferanten die
Treue und wechseln nicht plötzlich, nur weil ein potenzieller Lieferant günstige Preise anbietet.

Was genau beschafft ihr alles?

Massimo: Das Beschaffungsportfolio ist naturgemäss bei Uhren sehr breit. Eine hochwertige mechanische Uhr besteht aus vielen Teilen. Dazu kommen noch Uhrenbänder aus verschiedenen Materialien, die mehrere kleine Manufakturen für uns fertigen. Das Leder bestellen wir beispielsweise bei italienischen Lieferanten, welche die Bänder in Kleinstauflagen für uns anfertigen.Natürlich beschaffen wir auch diverse Metalle, Gummi, Nylon und auch Teile wie Schliessen.

Wie nachhaltig sind eure Uhren?

Leonard: Wer möglichst viel in Zürich einkauft, ist im Grundsatz schon sehr nachhaltig, weil dadurch der ökologische Fussabdruck möglichst klein bleibt. Das gilt sowohl für den professionellen als auch für den privaten Einkauf. Denn hier wird mit hohen Standards gearbeitet, und das bei sehr kurzen Wegen. Ausserdem sind Uhren für viele Menschen noch immer mit Erinnerungen verbunden – sei es, weil es Erbstücke sind oder die Träger diese zu einem bestimmten Anlass wie Geburts-
tag, Jubiläum oder zu einem besonderen Ereignis selbst kaufen oder geschenkt bekommen haben. Eine Uhr von uns kann mit etwas Sorgfalt drei Generationen glücklich machen.

Wie herausfordernd sind die Coronazeiten für euer Unternehmen?

Massimo: Wir betrachten die einschneidenden Veränderungen der vergangenen Monate als Chance für uns. Wir sind klein, schnell und wendig. Das gibt uns die Flexibilität, uns auf solche Situationen einzustellen und hoffentlich überraschende Lösungen anzubieten. So holen wir die Uhren unserer Kunden für Revisionen oder Reparaturen bei ihnen zu Hause ab. Und zwar mit unsrem urigen Land Rover Defender mit Baujahr 1967. Unser «Landy» ist irgendetwas zwischen Markentaxi, mobilem Pop-up-Store und Attraktion. Nicht selten werden wir auf Instragam getaggt.

Leonard: Da wir unser Geschäft geschlossen halten müssen, haben wir jetzt Zeit, um solche Dinge schnell und unkompliziert erledigen zu können. Natürlich haben wir auch immer eine schöne Uhrenauswahl im Gepäck. Es geht darum, Erlebnisse zu gestalten – sei dies im Laden oder online.

Wie stellt ihr sicher, dass euer Unternehmen auch künftig am Markt erfolgreich ist?

Massimo: Mit dem eingangs erwähnten Familiensinn und mit viel Innovation und Kreativität. Das ist zentral in einer Branche, in der man pro Jahr mindestens zwei neue Modelle lancieren sollte, damit man im Markt bleibt. Und um am Markt erfolgreich zu sein, sollte man wissen, was der Markt braucht – und vor allem spüren, was der Markt nicht erwartet. Denn genau hier eröffnet sich für Unternehmen die Möglichkeit, beispielswese mit Innovationen und Neuheiten zu glänzen.

Leonard: Gleich nach unserem Antritt haben wir unsere erste gemeinsam entwickelte Uhr, die Grand Cœur, auf den Markt gebracht. Das Herz der Uhr schlägt hinter einem roten Saphirglas, das bei der Uhr als roter Glasboden eingesetzt ist und den Blick auf das mechanische Automatikwerk freigibt.

Bei Maurice de Mauriac findet gerade ein Generationenwechsel statt. Was macht Ihr anders als euer Vater?

Massimo: Eigentlich nichts – und wohl doch alles. Die rund 30 Jahre Herzblut unseres Vaters ermöglichen uns tolle Startbedingungen. Wir profitieren von Möglichkeiten, die wir nicht hätten, wenn wir das Unternehmen aufbauen müssten. Wir wollen die Marke skalierbarer machen, um Wachstum nicht ausschliesslich über persönlichen Mehreinsatz generieren zu müssen. Dem sind nämlich zu schnell Grenzen gesetzt.

Leonard: Vier Augen sehen mehr als zwei, zwei Gehirne denken mehr als eins, zwei Herzen schlagen noch intensiver für die Marke, als eins alleine das kann. Nicht einer muss alles können, sondern einer immer nur 50 Prozent beherrschen und die restlichen 50 Prozent bestmöglich begleiten. Die Herausforderung ist, nach aussen dann aber doch immer mit einer Stimme zu wirken. Aber das haben wir über viele Jahre bei unserem Vater gelernt, sind von ihm von innen und aussen drauf vorbereitet worden.

Das Interview ist im Januar 2021 im Procure Swiss Magazin erschienen.


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