Paul Klee: Bewegte Bilder

Paul Klee: Bewegte Bilder

Paul Klee: Ohne Titel (Zwei Fische, einer am Haken), 1901, Feder und Aquarell auf Karton. (Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern)

Bern – Gehen und Schreiten, Tanzen und Gleiten, die Bewegung des Wassers, die Schwungkräfte und schliesslich die Überwindung der Schwerkraft im Fliegen – «Bewegung liegt allem Werden zugrunde», schrieb Paul Klee 1920. Seine Faszination für alle Formen von Bewegung zeigt die grosse Sammlungsausstellung 2016 «Paul Klee. Bewegte Bilder» vom 19. Januar 2016 bis 8. Januar 2017. Begleitet wird sie von einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe, die eine der vielseitigsten Bewegungsformen in den Mittelpunkt stellt – den Tanz, in Zusammenarbeit mit der Dampfzentrale Bern.  

Den Ausgangspunkt der thematisch gegliederten Präsentation bilden menschliche Bewegungsformen. Von der Schwerkraft beeinflusst oder gehemmt werden sie in Paul Klees Werk greifbar.Nach seiner Auffassung ist das Kunstwerk selbst «Bewegung», es entsteht «aus der Bewegung, ist selber festgelegte Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung (Augenmuskeln)».

Der Tanz ist dabei ein Leitmotiv, denn die Dynamik der Bewegungs- und Ausdrucksprozesse im Tanz vermittelten Paul Klee wichtige bildnerische Impulse. Gleichzeitig repräsentierte er für ihn wie keine andere Kunstform die Dynamik eines neuen Zeitalters.Intensiviert wurde diese Auseinandersetzung durch das aussergewöhnliche Interesse, das der Tanz im «Bauhaus-Theater»und im Rahmen der interdisziplinären Ausrichtung der Institution fand, wo Klee zu dieser Zeit lehrte. Die zentrale Figur in der Gestaltung neuer abstrakter Formen des Tanzes war hier Oskar Schlemmer mit der Erfindung des «Triadischen Balletts», das die Beziehung zwischen Figur und Raum neu definierte. Werke von Oskar Schlemmer werden in der Ausstellung ebenso zu sehen sein wie die Rekonstruktion seines «Triadischen Balletts»in einer Kooperation mit der Stiftung Bauhaus Dessau.Aber Klee interessierte sich auch für die neuen aus Amerika importierten populären Formen des Tanzes, wie sein wunderbares imaginäres Porträt der Tänzerin Josefine Baker zeigt.

Ausserdem entwickeln in einer Zusammenarbeit mit der Dampfzentrale Bern junge Künstler und Künstlerinnen im Ausstellungsraum choreografische und tänzerische Ideen. Diese entstehen in Auseinandersetzung mit den Werken vor Ort und können von den Besucherinnen und Besuchern live miterlebt werden.

Aufbau der Ausstellung
Die inhaltliche Gliederung der Ausstellung folgt grundsätzlichen Fragestellungen im Spannungsfeld von Bewegung und Statik.So stehtder Leichtigkeit desTanzes die Trägheit der Masse gegenüber, der alle Lebewesen und alle Materie auf der Erde durch die Schwerkraft ausgesetzt sind.

Die Dialektik von Statik und Bewegung spiegelt sich in der ersten Phase der Ausstellung (19. Januar bis01. Mai2016) in den folgenden Themen:

  • Die Last der Dinge
  • Gehen, schreiten, laufen, springen
  • Grenzen der Bewegung
  • Im «Zwischenreich»: Wasser-Bewegungen
  • Bewegung der freien Linie
  • Farb-Bewegungen

Alle Materie auf der Erde ist dem Gesetz des Lotes unterworfen. So auch der Mensch: Die meiste Zeit seines Lebens ruht, liegt oder sitzt er. Die Erdgebundenheit bezeichnet Klee als menschliche «Urtragik», von der er sich nur im Geist befreien kann; gleichzeitig verweist sie ihn an den Platz alles Irdischen. In der ersten Sektion «Die Last der Dinge» stehen deshalb Werke im Zentrum, die die Schwere zum Inhalt habe nund Titel wie «herabhängend», «Fall-Bäume»oder «Wurzel Stock»tragen.

«Gehen, schreiten,laufen, springen»sind Bewegungsakte, die ebendiese Schwerkraft überwinden. Mit dem Abheben des Fusses oder der Sprungbewegung setzt der Mensch der vertikal gegen das Erdzentrum gerichteten Gravitationskraft seine Muskelkraft entgegen –mit dem Absetzen des Fusses wird er durch jene wieder zurück an die Erde gebunden. In dieser Sektion wird Klees Auseinandersetzung mit diesem Wechselspiel der Kräfte und der daraus entstehenden Bewegung in vielfältiger Weise sichtbar. Seine Werke heissen hier –z.T. ironisch –«Alles läuft nach», «ergeht sich»oder «ein Einbaum, über land spazierend».

Die Energie der ungehemmten, freien Bewegung trifft auf Hindernisse, stösst an ihre Grenzen, die ihre Dynamik einschränken, sie umleiten und in neue Bahnen führen. Schranken und «Grenzen der Bewegung»sind Hindernisse,Schwellen, Dämme im Wasser ebenso wie die Macht der Schwerkraft, die den ungehemmten Aufstieg nach oben bricht–widergespiegelt in Bildern wie «in festen Grenzen», «bewegungen in Schleusen»oder «Fesselung».

Im Element des Wassers gerät alles Feste in einen Fluss. Ohne Hemmnisse bewegen sich die Fische in ihrem Element, und auch der Mensch überwindet schwimmend und tauchend die Schwerkraft. Klee nannte das Wasserein «Zwischenreich», in dem die irdische Schwerkraft durch die Gegenkraft des Auftriebs neutralisiert wird und Bewegungen in freier, fliessender Form möglich werden, wie in dem Raum «Bewegung im und auf dem Wasser»anschaulich wird.

Das bildnerische Äquivalent der ungehemmten Bewegung ist die Bewegung der freien Linie, gemäss Klee die «erste bewegliche Tat», die sich über «den toten Punkt hinwegsetzt». Das Auge folgt in Werken wie «polyphon-bewegtes»oder «über-beschwingte II»der freien Entfaltung der Linie, ihrem «Spaziergang um seiner selbst Willen»und wird dabei selbst in deren Bewegungsdynamik einbezogen.

Die Beziehung der Farben zueinander versteht Klee als dynamischen Prozess. In seinen Aufzeichnungen zum Bauhausunterricht hat er die «Bewegung» des Lichts und die «Farb-Bewegungen»methodisch erforscht. Dies war danndie Grundlage für die freie bildnerische Umsetzung im künstlerischen Werk, zu sehen bei «wie das licht und die Schärfen»oder «die Sonne streift die Ebene».

In den weiteren Phasen (3. Mai bis28. August 2016 sowie 03. September bis 08. Januar 2017) werden Werkgruppen zu folgenden Themen zu sehen sein:

  • Schwungkräfte in der Natur
  • Der Pfeil: Symbol der Bewegung
  • Aufstieg
  • Fliegen: die Überwindung der Schwerkraft
  • Bewegung und Gegenbewegung: Konfrontation

In der Ausstellung werden neben dem Film zu Schlemmers «Triadischem Ballett» auch Projektionen der «Reflektorischen Farblichtspiele»von Ludwig Hirschfeld-Mack und Kurt Schwerdtfeger (Schüler von PaulKlee) aus der Bauhauszeit gezeigt. Dabei werden Farbbewegungen im damals neuen Medium Film nachvollziehbar, auch dies in Kooperation mit der Stiftung Bauhaus,Dessau.

Darüber hinaus wird eine Arbeit des neuseeländischen Tänzers, Choreografen und Videokünstlers Daniel Belton zu sehen sein, für dessen Arbeit Klee’sZeichnungen eine grosse Inspirationsquelle sind. Gefilmter Tanz und digital generierte Zeichnungen werden in Beltons Filmen vereint, die Tänzer werden dabei aus ihren traditionellen, erdgebundenen Milieus herausgelöst und balancieren in Klees filigranen Bildkonstruktionen. Für die Ausstellung wird ereine neue und erweiterte Version des Films «Equilibrist –After Klee» schaffen, die im Zentrum Paul Kleeab Mai 2016 erstmals öffentlich gezeigt wird.

Ab dem 3. September 2016 wird in der Ausstellung eine der frühesten Multimedia-Projektionen der Geschichte, Oskar Fischinger’s «Raumlichtkunst» zu sehen sein, eine Rekonstruktion der Film-Installation von 1926. Sie wurde 2012 vom Center for Visual Music in Los Angeles in Zusammenarbeit mit dem Oskar Fischinger Archive restauriert und überrascht uns heute durch ihre unglaubliche visuelle und ästhetische «Modernität». (Zentrum Paul Klee/mc(ps)

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