Jeder mit Camper oder Expeditionsmobil kennt das: Angestachelt von Instagrambildern mit zum Weinen schönen Sonnenuntergängen oder dramatischen Ausblicken in die Ferne, sucht man jeweils einen Standplatz für die Nacht, der den Bildern im Kopf, aber selten der Realität entspricht. Hier ein Realitätscheck von unserer Reise in Italien.
Von Helmuth Fuchs
Klar haben auch wir unsere Vorstellung vom perfekten Standplatz. Schön einsam mit berauschender Aussicht, nahe an kulturellen oder landschaftlichen Höhepunkten, ruhig, mit echtem italienischem Eis in der Nähe («artigianale», mit möglichst überraschenden Zutaten aus lokalem Anbau). Die Vorstellung trifft meist zumindest in einem der Punkte, selten in allen, zu. Hier ein Beispiel, wie das dann so abläuft.
Vom letzten Standplatz, einem kleinen Kloster an erhöhter Lage mit toller Sicht auf das Meer (und einer kleinen Gelateria sowie einem ruhigen Parkplatz) wollen wir weiter nach Süden und direkt ans Meer, da dort das Wetter etwas besser ist.
Damit beginnt die grosse Recherche mit Google, Google Maps, Google Streetview, MapOut (zeigt die Höhenkurven, Distanzen und Parkplätze sehr gut), iOverlander (selten im Einsatz). Haben wir einen vermeintlich guten Ort gefunden, schauen wir mit SygicTruck noch, ob wir da mit unserem Gefährt auch hinkommen (Brücken, Unterführungen, Gewichtsbeschränkungen etc.). Da wir für den heutigen Standplatzwechsel nicht allzu weit fahren wollen, nutzen wir den Tag, um mit den Mountainbikes mögliche Varianten zuerst in Augenschein zu nehmen.
Ein unerwartetes Paradies
Und wie so oft erleben wir eine mehr als angenehme Überraschung. Standplätze gäbe es zahlreiche, aber viel mehr als die, nehmen uns die unglaublich vielfältigen Landschaften und ein toll ausgebauter Veloweg in Beschlag. So gestaltet sich die Standplatzsuche zu einer Velotour von 50 Kilometern entlang der adriatischen Küste, durch einsame Gegenden und durch das fantastische Naturreservat Punta Aderci. Das Naturreservat umfasst 285 Hektare an der Küste nördlich von Vasto bis zum Fluss Sinello, wo man auf den einzigen Laubwald des Naturreservats trifft. Der Strand von Punta Penna ist einer der wenigen Orte der Adriaküste, an dem man die Sonne ins Meer untergehen sehen kann.
Auf dem Weg zurück, mit dem Standplatz schon mehr oder weniger entschieden, passiert, was zwischendurch beim Fahrradfahren passiert: Ein Plattfuss. Während sich Sabina ans Schlauchwechseln macht, geniesse ich den Blick aufs Meer (das nennt man übrigens Arbeitsteilung) und mache Sabina auf den wunderbaren Kiesstrand aufmerksam und voilà, der neue Standplatz ist gefunden.
Viel Planung und am Ende entscheidet ein vermeintliches Unglück über die Wahl des bis anhin schönsten Übernachtungsortes.
Das entbindet nicht von einer sorgfältigen Planung, weil die Alternative die Vergeudung wertvoller Reisezeit, Diesel und Nerven wäre mit zudem höchst unsicherem Ausgang der Suche. Es zeigt aber auch, dass man bei aller Planung immer ein Auge für das Spezielle, Unerwartete haben sollte, die Bereitschaft, gute und ausgeklügelte Pläne über den Haufen zu werfen für das Bessere, Neue, Werdende.
Das Ergebnis kann den Unterschied hin zum Unvergesslichen, die Seele Berührenden, machen.
Die Velotour führte über 50 Kilometer und 410 Höhenmeter entlang der adriatischen Küste.