Bern – Erstmals seit ihrer Rückkehr nach Bern werden Robert Walsers Mikrogramme öffentlich gezeigt. Die in winziger Schrift mit Bleistift beschriebenen Blätter sind von einzigartiger Schönheit und zählen zu den wertvollsten Manuskripten der modernen Literatur. Die Ausstellung im Robert Walser-Zentrum erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Literaturarchiv der Schweizerischen Nationalbibliothek.
An der Eröffnung am 14. Juni sprechen der Berner Regierungsrat Bernhard Pulver und die Direktorin des Aargauer Kunsthauses Madeleine Schuppli. In der Öffentlichkeit bekannt wurden die Mikrogramme erst nach Robert Walsers Tod 1956. Überliefert sind 526 Blätter, die entziffert und transkribiert tausende von Druckseiten Text ergeben und neben Prosastücken, Gedichten und dramatischen Szenen auch einen ganzen Roman enthalten.
Fast unlesbar kleine Schrift
Praktiziert hatte der Autor sein »Bleistiftsystem« in den Zwanzigerjahren in Bern. Er schrieb in fast unlesbar kleiner Schrift auf ganz unterschiedliche Blätter und Zettel, darunter Formulare, Umschläge, Telegramme, Quittungen und Rechnungen. Mit den winzigen Buchstaben und der Möglichkeit, das so Entworfene später ins Reine zu schreiben, überwand Walser eine tiefgreifende Schreibkrise. Walsers Mikrografie ist so irritierend, dass sie von Carl Seelig anfänglich als »Geheimschrift« bezeichnet wurde. Erst Jochen Greven, dann Bernhard Echte und Werner Morlang gelang es nach jahrelanger Arbeit, die Handschrift zu entziffern. Die schlichten Blätter und das ungewohnte Schriftbild sind von einer großen Schönheit. Sie faszinieren insbesondere auch bildende Künstler in aller Welt. Walser selber schrieb mikrografisch verklausuliert: »Schreiben, Schriftstellern scheint mir vom Zeichnen abzustammen.« Mit seinem mikrografischen »Bleistiftgebiet« schuf sich Robert Walser eine nur ihm allein zugängliche Welt. Über die einzigartige Form hinaus sind die Mikrogramme auch literarisch bedeutsam und gehören zu den legendärsten Texten der modernen Literatur. (RWZ/mc/hfu)