Die Inseln im Thyrrenischen Meer sind wie Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Korsika, die Herbe, Spröde; Elba, die Ursprüngliche, Naturschöne; Sardinien, die Ausgeglichene mit Momenten der Extravaganz; Sizilien, die Barocke, Überschwängliche. Je nach persönlicher Befindlichkeit ist man zur einen oder anderen hingezogen, ohne dass man sich endgültig entscheiden möchte.
Von Helmuth Fuchs
Genua zu verlassen in der Abenddämmerung fühlt sich immer an wie ein Aufbruch in ein unbekanntes Abenteuer. Fragmente der christlichen Seefahrt scheinen in uns allen weiter zu schlummern. Verschüttet und in Restbeständen, aber immer noch da. Im Morgenlicht passieren wir Korsika und schon bald nimmt uns die Bucht von Olbia in Empfang. Das Städtchen selbst nimmt die Ankommenden zumindest ausserhalb der Hochsaison (Juli, August) gelassen entgegen. Es kann weder mit grossem Reichtum, aussergewöhnlichen Sehenswürdigkeiten oder unvergänglichen Monumenten protzen. Parallel zur Hauptader, der Umberto I. verlaufen einige enge Gässchen, die einen ursprünglichen Charme bewahret haben, mit Kleinstplätzen zum Verweilen, wie zum Beispiel der Piazza Margherite. Olbia ist das perfekte Tor zur Insel, hält die Reisenden nicht allzu lange auf, entlässt sie in die wartenden Wunder.
Costa Smeralda, der untypischste Teil Sardiniens
Wir nehmen zuerst den Weg in den eigentlich untypischsten Teil Sardiniens, die Costa Smeralda. Mit dem Ehrgeiz und Geld Aga Khans in die zuvor nur von sardischen Hirten gelegentlich genutzte Macchia geplant und gestellt, entwickelten sich die Ortschaften der in den prächtigsten Blau- und Grüntönen funkelnden kargen Küstenlandschaft zur Spielwiese der Superreichen mit Ihrem Tross von Schönen, Schrägen und Schillernden. Die Planer haben zur Gestaltung einen strikten architektonischen Rahmen vorgegeben: Südländisch und orientalisch inspirierte Gestaltung, mittlerweile als neo-sardisch bekannt, limitierte Bauhöhe (darf nicht über die Macchia hinausragen) und warme Erdfarben. Das hat andernorts berüchtigte Bausünden verhindert und zu einem auch heute noch harmonisch wirkenden Gesamtbild beigetragen. Das Heer der Superreichen hat sich auf Sardinien etwas ausgedünnt, neue In-Plätze haben in den globalisierten Sphären der Happy Few die flüchtige Gunst erworben. Es ist aber genug geblieben, um die im europäischen Vergleich rekordhohen Preise aufrecht zu erhalten (9 Euro für einen Cappuccino, 12 Euro für ein Fläschchen Mineralwasser, dafür stilvoll direkt am Strand serviert vom Kellner im weissen Jackett) und eine Hotelsternen-Dichte einer gefühlten Supernova zu garantieren. Einige spektakuläre Yachten und Villen mit betörend schönen Parklandschaften direkt am Meer markieren den vorhandenen Reichtum adäquat. Wo anders als in Porto Cervo zum Beispiel lässt sich die Anlieferung von zwei brandneuen Rolls Royce als „Mietwagen“ direkt zur Yacht beobachten?
Luxus Natur und ein perfekt gelegener Campingplatz
Es geht aber auch ein bisschen bescheidener, ohne auf den Luxus der Übernachtung direkt am Sandstrand, umsäumt von einem zerklüfteten Felsenwand und beschattet von Pinien, verzichten zu müssen. Wir sind mit unserem Camper-Bus unterwegs, sein natürliches Habitat erstreckt sich von unbebauter Natur bis zu ausgesuchten Camping Plätzen. An der Costa Smeralda fiel unsere Wahl auf Isuledda, eine Halbinsel mit grosszügig angelegten Plätzen. Jeder findet hier, was er am meisten liebt: Entweder eine kahle Felsenlandschaft direkt am Meer, einen lieblichen hellen Sandstrand, schattige Pinien- und Zypressenhaine, wild wuchernde Macchia. Tadellose Sanitäranlagen und eine Ruhe, die nicht durch Animationsprogramme oder sonstige künstliche Hektik unterbrochen wird. Für uns ein perfekter Spot, um die Costa Smeralda von hier aus mit dem Fahrrad zu erkunden. Sind im Allgemeinen weisse Strassen auf einer 1:200’000-Karte (das ist die Papierform von Google Maps, nur massiv viel ungenauer, veraltet, ohne Bilder und eigentlich unbrauchbar; einziger Vorteil: Funktionieren auch ohne Strom und Internet-Zugang) ein verlässlicher Indikator für Ruhe, wenig Verkehr und Idylle, trifft das an der Costa Smeralda nicht im Geringsten zu. Viel Verkehr auch auf den kleinsten Strassen. Wer ungestörte Ruhe will, muss auf Wanderwege und wenig begangene Naturpfade ausweichen. Die findet man zwar dank Google Maps problemlos, in der realen Welt zeigt sich aber dann oft, dass diese über Privatgrundstücke führen und abgeriegelt sind. Den Toleranztest der Grundstücksbesitzer haben wir uns diesmal erspart. Aus den USA liest man ja viel Unerfreuliches zum Umgang mit vermeintlichen Eindringlingen und in einer globalisierten Welt verbreiten sich leider auch unangenehme Praktiken annähernd mit Lichtgeschwindigkeit. Für ein nächstes Mal werden wir uns einfach einen Mountain-Bike Guide organisieren, um gezielter die Wege abseits des Alltagsverkehrs zu erfahren.
Komfortable Strassen lassen dem Gehirn Zeit umherzuirren. In Kombination mit erhöhtem Sauerstoffverbrauch in den Beinen nähert sich der Zustand der Gehirnzellen schnell demjenigen bewusstseins-erweiternder Drogen. Ein Strassenschild „San Pantaleo“ (ehemals hippe Künstlerkolonie zwischen Arzachena und der Küste) inspiriert zu wildesten Geschichten um eine heilige Hose (hier funken Bruchstücke des ansonsten völlig spurlos an mir vorbeigeflossenen Französisch-Unterrichtsstunden dazwischen).
Der Landschaft selbst wohnt ein ursprünglicher Zauber inne, der alles andere vergessen lässt. Das Meer lockt mit seinem Farbenspiel, dem glasklaren Wasser und dem Versprechen eines Reichtums weit jenseits des Geldes. Das alleine macht einen Besuch dieses sehr untypischen Teil Sardiniens absolut lohnenswert.