Skitouren in Zeiten von Corona: Die Entdeckung der (fast) perfekten Aktivität

Chaiserstock (Bild: Helmuth Fuchs)

Als Gegenprogramm zu allem, was nicht geht, nicht erlaubt oder verboten ist, wo man sich einschränken muss: Die Wiederentdeckung des Skitouren Gehens. Hier herrscht kein Gedränge, man kann sich Frischluft-Seilbahnen mit eigenem Abenteuerfaktor aussuchen oder gleich vom Auto aus seine Spur in unberührte Schneelandschaften legen. Begegnungen mit anderen Menschen lassen sich bei guter Planung praktisch gänzlich vermeiden und finden, wenn überhaupt, immer mit viel Distanz im Freien statt.

Von Helmuth Fuchs

Meine Frau pflegt ihre Faszination für Skitouren schon lange, ich liess es nach meiner Sturm und Drang Phase sein, zu früh muss man meistens dafür aufstehen, zu anstrengend sind die lohnenswerten Ziele zu erreichen, zu viel skifahrerisches Können ist erforderlich, damit auch Abfahrten ein Genuss sind. Es benötigte schon den Shutdown vieler Alternativen durch die bundesrätlich verordneten Eindämmungsmassnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, um mich wieder auf die fellbestückten Skis zu bringen.

Die Materialschlacht, die nur SiegerInnen hinterlässt
Die erste Überraschung dabei war, wie viel besser das Material in den letzten Jahrzehnten geworden ist. Breitere Skis, einfachere Bindungen, passendere Schuhe und alles in viel besserer Qualität und mit einem Bruchteil des Gewichtes. Vor dreissig Jahren waren Blasen an den Füssen unvermeidlich, das Gewicht des Materials bewegte sich im Bereich des Felsbrocken des Sisyphus und die Bekleidung war entweder viel zu heiss oder unbrauchbar, um die Kälte abzuhalten. Alles erledigt. Anatomisch geformte Innenschuhe, Leichtmaterialien wie Carbon und ausgeklügelte Textilien in Kombination mit exklusiven Wollstoffen lösen fast sämtliche Probleme. Wer schon einmal reine Merinowolle auf der Haut trug, wird nie mehr etwas anderes wollen. Merinowolle kühlt oder wärmt, transportiert den Schweiss gut und nimmt keinen Geruch an, sobald sie wieder trocken ist (jeder, der sich schon einmal in einer SAC-Hütte aufhielt, weiss dies zu schätzen). Dann je nach Temperatur die zweite Lage der Bekleidung wählen und zum Schluss eine Jacke, die den Wind abhält, leicht ist und trotzdem wärmt und Feuchtigkeit nach aussen lässt. All das gibt es natürlich nicht für das bekannte Butterbrot, da reden wir schon eher vom Kaviarhäppchen mit Trüffelsahne. Dafür hat man dann auf Touren einfach mehr Spass, Sicherheit und fühlt sich rundum wohler.

Auch wenn der Berg brüllt, Vorbereitung muss sein
Nach so gewonnener Materialschlacht ist das Verbleiben am Fusse der Berge im Schutz der Hütte keine Option mehr. Jetzt ruft der Gipfel nicht mehr, er befiehlt die Besteigung. Die ersten Touren waren noch typische Eingeh-Touren: Schmerzhaft, weil man noch zu wenig trainiert, das Material noch gewöhnungbedürftig ist, man natürlich die Bedienungsanleitung schwungvoll und ungelesen ins Altpapier entsorgt hat und jetzt nicht mehr weiss, wie das Teil eigentlich funktionieren müsste. Spielt sich aber alles ein, das Internet weiss zu allem Rat und bald ist man gerüstet für ernsthaftere Unternehmungen.

Wir leisten uns für einige Tage einen persönlichen Berg- und Skitourenführer, der uns Touren ermöglicht, die wir uns in Eigenregie nicht zugetraut (und auch kaum überlebt) hätten. Das erweitert auch die eigenen Möglichkeiten und Erfahrungen, so dass wir die nächsten Touren dann schon eine SAC-Stufe höher selbstständig angehen können. Für die Vorbereitung informieren wir uns auf dem SAC Tourenportal, sprechen mit Freunden, welche die Tour schon gemacht haben, suchen uns ein optimales Wetterfenster, laden sämtliche wichtigen Informationen wie Karten, Tourenbeschreibung auf das Mobiltelefon, schauen, dass Apps wie «White Risk» und Swisstopo funktionieren und auf dem neuesten Stand sind. Vor Ort sprechen wir oft noch mit Einheimischen (Hüttenwarte, Bahnbetreiber, Bauern) um zu schauen, ob sie noch zusätzliche Infos haben, Hinweise zu aktuellen Entwicklungen.

So vorbereitet hat man schon eine gute Vorstellung davon, wie die Tour sein könnte. Wo technisch anspruchsvolle Abschnitte, wo ist die grössten Steigungen, wie lange die Anstiege, wo evt. Gegenanstiege zu bewältigen sein werden. Das ist nicht unerheblich, da Unbekanntes und Unverhofftes oft für zusätzlichem Stress in angespannten Situationen führt. Fällt das vermeidbare Überraschungsmoment weg (es gibt auch so noch genügend davon), wird die Tour eher zum Genuss. Das Gehen hat seinen eigenen Rhythmus, ist eine dauernde Optimierung seiner eigenen Leistungsfähigkeit, im Wissen, dass auch die Abfahrt, je nach Schneeverhältnissen, noch energiezehrend sein kann.

Dieser Winter hat uns in unerwartetem Mass beschenkt. In den letzten Jahren gab es kaum je bessere Bedingungen so lange in den Frühling hinein und dies auch in tieferen Lagen. Vor allem die Berge in unserer näheren Umgebung in der Innerschweiz haben alles, was das Herz begehrt: Teilweise schon hochalpinen Charakter, schnelle Erreichbarkeit, meist wenig Menschen, die sich in urtümlichen Landschaften verlieren. Anspruchsvolle Touren für unsere Fähigkeiten (wir bewegen und nicht über die SAC-Skalastufe S (schwierig hinaus), meistens im Bereich ZS (ziemlich schwierig) und bei eher schlechten Bedingungen gerne auch im Bereich WS (wenig schwierig).

Faszination für Archaisches in sonst kaum mehr vorhandenen Freiheitsräumen
Der Kern der Faszination für Skitouren bildet die Bewegung in archaischen, beeindruckenden Gebirgslandschaften. Als Gegenpol zu Digitalisierung, virtuellen Welten, rasanten Informationszyklen, ändern sich Gebirgslandschaften in einem für uns kaum merklichen Tempo. Ihre Silhouetten vermitteln Beständigkeit auch in dauernd wechselnden Witterungsbedingungen.

Wer sich in diesen Landschaften bewegt, wird in gnadenloser Weise auf seine eigenen Fähigkeiten (oder das Fehlen dieser) zurück geworfen. Fake hat keine Chance, Können lässt sich nicht mimen, Ermüdung, Kälte und Hunger lassen sich nicht wegklicken. Genuss ist das fast ausschliesslich Resultat des eigenen Einsatzes, ein zutiefst persönlicher Gewinn, der wächst, wenn man ihn mit anderen teilen kann. Der Erfolg ist abhängig vom Schwächeren, da dieser das Tempo und das technisch Machbare bestimmt. Freuden sind fundamentaler Art: Schmerzfreie Bewegung, Essen, Trinken, Ruhe. Alles in atemberaubenden Landschaften, in der sich mit zunehmender Höhe und zum Schluss auf einem Gipfel die nächsten Täler, Gipfel, Horizonte entfalten und eine unstillbare Sehnsucht nach Weite nähren. Es gibt immer ein nächste Level, ein neues Szenario, nie ist eine Tour identisch mit einer vorhergegangenen (also wie 3D-Gaming, einfach viel krasser).

Das Erlebnis ist dasselbe für den Anfänger wie für den Bergführer. Mit steigendem Können erschliessen sich zwar zusätzliche Berge und Touren, die ganze Bandbreite an Emotionen, Genuss und Bewegung in berührenden Landschaften lässt sich aber schon auf der einfachsten Tour erleben. Barrierefreiheit und Nicht-Diskriminierung in einer ihrer schönsten Form. Dazu kommt die Freiheit, selbst für all seine Schritte verantwortlich zu sein, selbst die Konsequenzen zu tragen, selbst die Route bestimmen, das Tempo, das Ziel. In Zeiten, in denen das Leben aller zunehmend reguliert wird, Freiräume eher weniger als mehr werden, eröffnet das Skitouren Gehen eine Welt, in der mit einfachen Mitteln solche Freiheiten gefunden und genutzt werden können. Vielleicht mit ein Grund, dass wieder mehr Menschen Felle auf ihre Skis kleben, die Stöcke und ihr eigenes Schicksal in die Hände nehmen. Wenigstens für die Dauer einer Skitour.


Meine wichtigsten persönlichen Ausrüstungskomponenten
Für die erwähnten Artikel bekomme ich weder Bezahlung noch sonstige Zuwendungen oder Unterstützung. Sie sollen Einsteigern einfach eine Orientierungshilfe sein. Für mich war wichtig, dass das Material eine gute Mischung zwischen Preis, Gewicht und einem breiten Einsatzgebiet darstellt. So sollte der Ski zum Beispiel auf Pisten ebenso einsatzfähig sein wie auf Eis oder im Pulverschnee, optimiert auf den Aufstieg. Das heisst aber auch immer, dass man kaum den Testsieger oder das Spitzenprodukt in einem Einsatzbereich hat, sondern ein Produkt, dessen Einsatzbereich möglichst breit ist. Wer vor allem auf Hochtouren geht, wird zu einem anderen Setup kommen als jemand, der eher von Dezember bis April auf Touren geht und mehrheitlich Berge bis 3’000 Meter zum Ziel hat.

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