Westerland – Das Erlebniszentrum Naturwalten auf der Nordseeinsel Sylt bietet Wattführungen auch in der kalten Jahreszeit an. Denn das Watt ist auch im Winter so lebendig, dass man dafür gerne kalte Füsse und rote Wangen riskiert.
Wattführerin Maike Hanke hat ihre Gruppe im Lister Sandwatt um sich herum versammelt. Trotz knackig-kalter Temperaturen haben sich an diesem Wintermorgen immerhin knapp 20 Teilnehmer zusammengefunden. Wattführungen im Winter haben ihren besonderen Reiz. Die Gruppen sind kleiner, die Natur und ihre Geräusche lassen sich ganz ungestört genießen. „Kleine Gruppen heisst, mehr Zeit zu haben um Fragen zu beantworten“, sagt Maike Hanke, die im Erlebniszentrum Naturgewalten ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr macht. „Auch deshalb haben wir uns entschlossen, Wattführungen im Winter anzubieten – ich habe mehr Zeit, die Tiere und die Pflanzen vorzustellen.“
Das Gras auf den Dünen strahlt golden unter der Morgensonne, wippt im Wind und es ist ein schöner, scharfer Kontrast zum tiefblauen Winterhimmel und der Nordsee. Den Schal bis unter die Nase gezogen, marschiert Maike Hanke vorneweg in Richtung der Steinbuhne – vor dem Lister Strand ist es nur ein schmaler Streifen Watt, doch gleichsam grosse Bühne für die Bewohner des UNESCO-Weltnaturerbes. Die schrägstehende Sonne arbeitet die Kontraste im Wattboden heraus, wunderschön leuchten die Sandrippel in einem Bronzeton. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, Zeit und Musse ist dafür jetzt.
Nachdem das Phänomen Ebbe und Flut anschaulich erklärt wurde, geht es durch die kleine Lagune zur Steinbuhne. Ein Schwarm Vögel rauscht flatternd vorüber wie weisses Konfetti im Winterhimmel. „Wer traut sich, diese Strandkrabbe mal anzufassen“, Maike Hanke reicht was in die Runde, „am besten mit dem Mittelfinger und dem Daumen aussen anfassen – dann kann sie nicht zwicken. Und sehen Sie hier: sie hat nur noch neun Beine, eines ist ab. Das ist aber nicht schlimm, es wächst wieder nach. Etwas unbequem für die Krabbe, aber sie ist trotzdem recht agil.“ Nachdem es wieder ausgesetzt wurde, rennt das Tier davon. Ganz leise kommt die Nordsee zurück, sachte schwappt das Wasser auf das Watt an der Kante. Und die Fähre stampft vorüber, leise Wellen klatschen verzögert und verhalten an die Steine.
Der Blick scheint ins Unendliche zu gehen. Auch dies ist ein Unterschied zu Touren im Sommer – bei klarer Sicht hat man das Gefühl, in einem endlosen Raum zu stehen, unterwegs in scheinbar völliger Leere. Und auch der im Sommer manchmal muffige, dumpfe Geruch vom Wattboden fehlt im Winter völlig. Nicht nur die Sicht ist frei und weit, auch die Luft ist frischer und klarer; ein Ort, um mal so richtig tief durchzuatmen. Und weil man mit nur wenigen Gästen unterwegs ist, hat man auch das Gefühl, ganz weit weg von allem zu sein. Wer sich zurückfallen lässt, hat das Gefühl einer schönen Einsamkeit, von wohltuendem Alleinsein in freier, einzigartiger Natur.
Nach zwei Stunden ist die Zeit im Winterwunderland Watt um. Über Sylt spannt sich ein strahlend blauer Himmel und das Watt liegt wie ein weiter, leerer Raum unter der Wintersonne. Was jetzt richtig gut tut: ein grosser Teller Kartoffelsuppe im Erlebniszentrum Naturgewalten. (mc/pg)
Informationen und Termine für die winterlichen Wattführungen