Zürich – Das Museum Rietberg besitzt mit der Sammlung Charles A. Drenowatz, die es 1979 als Geschenk erhielt, eine der bedeutendsten Sammlungen chinesischer Malerei des 15. bis 19. Jahrhunderts, der Ming- und Qing-Zeit, in Europa. Die Sammlung ist weltweit bekannt und hat ein grosses kunsthistorisches Renommee, einzelne Werke wie z.B. Tausend Gipfel und Zehntausend Täler von Gong Xian (1619–1689), Die vier Freuden des Nan Shenglu von Chen Hongshou (1598–1652) oder die Landschaften von Dong Qichang (1555–1636) gelten im Kunstkanon als Meisterwerke, wurden vielfach reproduziert und für Ausstellungen ausgeliehen.
Dank einer Förderung durch das Bundesamt für Kultur hat das Museum nun ein Projekt lanciert, dass sich vertieft mit dem Sammler Charles A. Drenowatz (1908–1979), der seine Bilder in den 1950er bis 1960er Jahren erworben hat, sowie der Überlieferungsgeschichte der Werke und der Netzwerke, über die Drenowatz die Sammlung zusammenstellen konnte, beschäftigt.
Im Zentrum des Projektes stehen die Rekonstruktion der Besitzerketten sowie die Verflechtungen der chinesischen Sammlungen mit dem Kunsthandel in China, Europa und Amerika. Diese Untersuchung soll dazu beitragen, die Provenienzen und Erwerbsumstände der Sammlung zu klären. Sie erfolgt in engem Austausch mit Forschenden in Europa, Amerika und China und beinhaltet Archivforschung in öffentlichen und privaten Archiven sowie die Auswertung mündlicher Überlieferungen.
Die Einsichten aus dieser Forschung sind von grosser Relevanz für künftige Diskussionen im Umgang mit Sammlungen und die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnerinstitutionen. Zudem erwarten wir uns bedeutende Erkenntnisse für die Aufarbeitung eines wichtigen, jedoch bislang weitgehend unerforschten Bereiches: dem Kunstmarkt mit chinesischer Malerei in der Mitte des 20. Jahrhunderts in China, Hongkong und der Schweiz.
Charles Alexander Drenowatz hatte mit 22 Jahren das Fahrradgeschäft seines Vaters übernommen und die Radex AG gegründet, die er im Laufe der Zeit zu einem grösseren Betrieb mit der Generalvertretung verschiedene Motorräder ausgebaut. So war er zu einigem Wohlstand gekommen. Mitte der 1950er-Jahre kam er in Kontakt mit der chinesischen Tuschemalerei, die fortan zu seiner Leidenschaft wurde. Es scheint, dass er im Austausch mit verschiedenen Fachpersonen, Sammlerinnen und Sammlern und im Handel Tätigen stand, die ihn bei seiner Bildauswahl beraten und ihm Werke zum Ankauf vorgeschlagen haben. So ergeben sich aus der Forschung zu Charles A. Drenowatz spannende Überschneidungen und Verbindungen zu den Sammlungsgeschichten anderer Museen in Europa und den USA.
Im chinesischen Kunstkanon nimmt die Malerei eine ganz besondere Stellung ein. Schon vor über 1500 Jahren wurden Biografien von berühmten Malern und maltheoretische Schriften verfasst. Werke bekannter Künstler (Frauen hatten so gut wie keinen Zugang zur Kunstwelt) fanden Eingang in die Palastsammlungen des Kaiserhauses wie auch in Privatsammlungen von Mitgliedern der Oberschicht. Immer wieder veröffentlichten die stolzen Besitzer gedruckte Kataloge ihrer Sammlungen.
Einzigartig an der chinesischen Malerei ist, dass häufig nicht nur die Kunstschaffenden eine Aufschrift und ihre Siegel auf das Bild setzten, sondern auch die Bildempfänger, Freunde und Bekannte der Künstler, aber auch spätere Besitzer, berühmte Kunstkritiker und andere sachverständige Betrachter und Betrachterinnen. Diese Hinzufügungen wie Siegel und Aufschriften wurden im Laufe der Zeit zu einem festen, sich aber kontinuierlich erweiternden Bestandteil des Kunstwerks. Gleichzeitig stellen sie überaus wichtige dokumentarische Quellen für die Wirkungs- und Überlieferungsgeschichte einer chinesischen Malerei dar.
Die in die Werke eingeschriebenen Geschichten können somit viel über die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten erzählen. Die kaiserlichen Sammlungen wurden bei Dynastiewechseln geplündert, private Sammlungen durch Kriege und Unruhen zerstreut. Bilder wurden aber auch verschenkt, verkauft und in den Handel gegeben. Mit dem gewaltsamen Eindringen der europäischen Mächte in China Mitte des 19. Jahrhunderts, dem Zerfall des Kaiserreiches, den zahlreichen Aufständen im Land und dem Chinesisch-Japanischen Krieg kam es zu grossen sozialen Umwälzungen, die auch die Wege der Kunstwerke massgeblich beeinflussten. Gerade der Kunstmarkt des frühen 20. Jahrhunderts mit seinen zahlreichen internationalen Akteuren und der Weg der Malerei in den Westen ist bis jetzt wenig erforscht.
Das Projekt am Museum Rietberg widmet sich der Herkunftsgeschichte der Sammlung chinesischer Malerei von Charles A. Drenowatz. Es läuft von August 2021 bis September 2022 und wird vom Bundesamt für Kultur mit CHF 72’000 gefördert. Ziel ist die Erforschung der Provenienzen von 67 bedeutenden Werken (Bildrollen, Alben und Fächerblätter) des 15. bis 19. Jahrhunderts und eine umfassende Dokumentation der Überlieferungs- und Bedeutungsgeschichte dieser Bilder. Sie erfolgt in enger Kooperation mit chinesischen Expertinnen und Experten, die Siegel und Aufschriften sowie die chinesischen Quellen dokumentieren, sowie im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen anderer Museen in Europa.
Die Ergebnisse der Forschung werden online zur Verfügung gestellt sowie in einem Schlussbericht zuhanden des Bundesamtes für Kultur und in Fachorganen publiziert. Zudem fliessen sie in den «Tag der Provenienzforschung» (13. April 2022) und in die Ausstellung «Wege der Kunst» (17. Juni 2022 bis 25. Juni 2023) ein und werden an einer wissenschaftlichen Tagung im Rahmen derselben Ausstellung (September 2022) präsentiert. (Museum Rietberg/mc/ps)
Einzelheiten zum Projekt
- Laufzeit 1. August 2021 bis 30. September 2022
- Projektleitung Alexandra von Przychowski, Kuratorin für Kunst Chinas, und Esther Tisa Francini, Leitung Provenienzforschung und Schriftenarchiv
- Wissenschaftliche Leitung Dr. Kim Karlsson
- Wissenschaftliche Assistenz Xi Hu
- Kooperationspartner in China Dr. Lu Dadong, Dozent an der China Academy of Art, Hangzhou, Experte für chinesische Kunst, besonders Schrift- und Siegelkunst, Künstler, und Dr. Lis Jung Lu, Kunsthistorikerin und Kalligrafie-Expertin
- Kooperationspartner in Europa Dr. Christine Howald, stellvertretende Leiterin des Zentralarchives der Staatlichen Museen Berlin und Provenienzforscherin am Museum für Asiatische Kunst, Berlin
(Museum Rietberg /mc/ps)