Von der Religion bis zur Spiritualität: Die Vielfalt der Praktiken und Glaubensformen
Klosterkirche Einsiedeln: Deckengemälde.
Neuenburg – Fast jede zweite Person glaubt gemäss eigenen Angaben an einen einzigen Gott und jede vierte Person an eine höhere Macht. Über 20 Prozent der Bevölkerung geben an, keine Religion zu haben, aber nur 12 Prozent bezeichnen sich als atheistisch. Obschon religiöse Einrichtungen immer seltener aufgesucht werden, bleiben die religiösen und spirituellen Praktiken und Glaubensformen nicht nur erhalten, sie werden auch vielseitiger. Frauen sind in der Regel religiöser und spiritueller als Männer und befassen sich auch eher mit anderen Glaubensformen. Dies sind einige Ergebnisse aus der vom Bundesamt für Statistik (BFS) durchgeführten Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur.
Von den katholischen bzw. protestantischen Befragten gaben 59 bzw. 46 Prozent an, an einen einzigen Gott zu glauben. Der Anteil der Personen, die eher an eine höhere Macht glauben, entsprach einem Fünftel (20%) bzw. einem Drittel (30%). Bei den anderen evangelikalen Gemeinden (92%) und den muslimischen Gemeinschaften (90%) ist der Anteil der Personen, die an einen einzigen Gott glauben, deutlich höher.
Religiöse Einrichtungen werden insbesondere bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen aufgesucht
Die grosse Mehrheit der Personen ab 15 Jahren (71%) suchte maximal fünfmal pro Jahr eine religiöse Einrichtung auf, um einem Gottesdienst beizuwohnen. Genauer ausgedrückt haben 30 Prozent nie und 41 Prozent zwischen ein- und fünfmal an einem Gottesdienst teilgenommen. 87 Prozent dieser gelegentlichen Besucherinnen und Besucher wohnten einem Gottesdienst aus gesellschaftlichem Anlass bei, beispielsweise für eine Hochzeit oder eine Beerdigung.
Bei den muslimischen Gemeinschaften fiel der Anteil der Personen, die mindestens einmal pro Woche einen Gottesdienst besuchten, ähnlich hoch aus (12%) wie bei den Katholikinnen und Katholiken (14%). Bei den Protestantinnen und Protestanten war dieser Anteil rund halb so gross (7%). Hingegen hat fast jedes zweite Mitglied der muslimischen Gemeinschaften (46%) in den letzten zwölf Monaten vor der Erhebung keinen Gottesdienst besucht. Dieser Wert ist der zweithöchste hinter jenem der Konfessionslosen (62%).
Knapp ein Drittel der Katholikinnen und Katholiken (30%) und ein Sechstel der Mitglieder der muslimischen Gemeinschaften (17%) gaben an, täglich oder fast täglich zu beten. Der Anteil der Personen, die in den letzten zwölf Monaten vor der Erhebung nie gebetet haben, ist bei den muslimischen Gemeinden höher (40%) als bei den Mitgliedern der protestantischen (34%) und der katholischen Kirche (26%). Die Mitglieder anderer evangelikaler Gemeinden praktizieren ihren Glauben viel intensiver. So besuchten 72 Prozent mindestens einmal pro Woche einen Gottesdienst, 34 Prozent beteten mehrmals täglich und 51 Prozent täglich oder fast täglich.
Ohne Konfession heisst nicht ohne Spiritualität
Mehr als jede fünfte Person (22%) gab an, keine Religion zu haben; davon bezeichneten sich ein Drittel als atheistisch und ein Viertel als agnostisch, d.h. sie wissen nicht, ob es einen oder mehrere Götter gibt. Bei den Konfessionslosen hingegen glaubte jede zehnte Person an einen einzigen Gott und 31 Prozent an eine höhere Macht. Während gerade einmal 3 Prozent der Konfessionslosen in den letzten zwölf Monaten vor der Erhebung mindestens einmal pro Monat einen Gottesdienst in einer religiösen Einrichtung besucht haben, haben 12 Prozent eine religiöse oder spirituelle Veranstaltung über ein Medium, d.h. am Fernsehen, am Radio oder im Internet, verfolgt.
Der Anteil der Konfessionslosen, die glauben, dass ihr Schicksal von einer höheren Macht beeinflusst wird, bzw. die an die Gabe des Heilens oder Hellsehens glauben, belief sich auf 31 bzw. 41 Prozent. 29 Prozent von ihnen glauben an ein Leben nach dem Tod und 12 Prozent gaben an, regelmässig ein Buch oder eine Zeitschrift über Esoterik oder Spiritualität zu lesen.
Frauen sind häufiger gläubig und spirituell
Frauen beten im Allgemeinen häufiger als Männer; 35 Prozent der Frauen gaben an, täglich oder fast täglich zu beten. Dieser Anteil betrug bei den Männern 20 Prozent. Frauen neigen auch eher dazu, sich mit verschiedenen Glaubensformen zu befassen. So glauben beispielsweise 58 Prozent der Frauen und lediglich 37 Prozent der Männer eher oder sicher an Engel oder übernatürliche Wesen, die über uns wachen.
Über die Hälfte der befragten Frauen (56%) glaubt, dass es Personen gibt, die über die Gabe des Heilens oder Hellsehens verfügen. Bei den Männern belief sich dieser Anteil auf 42 Prozent. Auch das Ausüben diverser spiritueller Praktiken ist bei den Frauen verbreiteter. So betrug der Anteil der Personen, die eine Bewegungs- oder Atmungstechnik auf spirituelle Weise ausüben, bei den Frauen 27 Prozent, gegenüber 11 Prozent bei den Männern.
Religion und Spiritualität sind in schwierigen Momenten des Lebens wichtig
Religion oder Spiritualität spielte bei mehr als jeder zweiten Person (56%) eine eher oder sehr wichtige Rolle in schwierigen Momenten des Lebens und bei 47 Prozent im Falle einer Krankheit. In Bezug auf die Einstellung gegenüber Natur und Umwelt sowie auf die Kindererziehung war Religion oder Spiritualität bei 43 bzw. 47 Prozent der befragten Bevölkerung von Bedeutung. Im Berufsleben (23%), bei Entscheidungen in Zusammenhang mit Abstimmungen oder bei der politischen Ausrichtung (16%), im Sexualleben (16%) oder bei den Ernährungsgewohnheiten (13%) sind religiöse oder spirituelle Aspekte weniger wichtig.
Regionale Unterschiede bei den spirituellen Praktiken
Der Anteil der Personen, die in den letzten zwölf Monaten vor der Erhebung eine Heilerin oder einen Heiler aufgesucht haben, war in der Westschweiz höher (13%) als in der Deutschschweiz (4%) und der italienischen Schweiz (5%). Gegenstände mit glück-, schutz- oder heilbringender Wirkung werden hingegen in der Deutschschweiz etwas häufiger verwendet (23%) als in der italienischen Schweiz (20%) und der Westschweiz (19%). Persönlichkeitsentwicklung schliesslich ist in der italienischen Schweiz (12%) weniger verbreitet als in der Deutsch- (22%) und der Westschweiz (21%). (BFS/mc/ps)