Bern – Verzögerungen bei der Inbetriebnahme neuer Züge bei zunehmenden Passagierzahlen, Verspätungen auf den meistbefahrenen Strecken sowie eine angespannte Personalsituation: Die SBB kämpfen aktuell an vielen Fronten. Als Erstes will das Bahnunternehmen pünktlicher werden.
Die Kundenpünktlichkeit steht bei den SBB weit oben auf der Prioritätenliste. In den vergangenen Monaten und wohl bis ins Jahr 2021 hinein ist die betriebliche Situation aber angespannt. Deshalb wollen die SBB die Planung des Angebots, der Bahnproduktion und der Bauprojekte verbessern und wo nötig mehr Reserven bei Personal, Rollmaterial, Anlagen und im Fahrplan schaffen, wie das Unternehmen am Montag mitteilte.
Erste Massnahmen werden demnach zum Fahrplanwechsel im Dezember 2019 umgesetzt. Dabei gehe es um Anpassungen im Minuten- oder gar Sekundenbereich – «mehr ist kurzfristig nicht möglich», schreiben die SBB. Eingeführt wird punktuell etwa das «First in, first out»-Prinzip. Das heisst: Künftig fährt derjenige Zug zuerst ab, der früher bereit ist. So werde verhindert, dass die Verspätung eines Zuges auf den anderen übertragen wird.
Abfahrten neu koordinieren
Die Massnahme wird erst einmal im Bahnhof Spiez BE eingeführt, wo jeweils zwei Intercity-Züge – einer aus dem Berner Oberland und einer aus dem Wallis – praktisch zeitgleich eintreffen. Heute ist fixiert, dass der Zug aus Interlaken drei Minuten vor der Komposition aus Brig losfährt. Ab dem 15. Dezember soll das flexibler gestaltet werden.
Als zweite Sofortmassnahme empfehlen die SBB künftig Reisenden zwischen Ostschweiz und Mittelland und umgekehrt, am Flughafen statt am Hauptbahnhof Zürich umzusteigen. Am Flughafen halten die entsprechenden Züge am gleichen Perron, was die Umsteigezeit verkürze und die Anschlüsse zuverlässiger mache, ohne dass der Fahrplan angepasst werde.
Zu knappe Reserven
Diese zwei Schritte sind die ersten des Ende 2018 lancierten und längerfristig angelegten Programms «Kundenpünktlichkeit 2.0», für welches die SBB auch eine Expertengruppe eingesetzt haben. Zwar sei die Kundenpünktlichkeit in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und im europäischen Vergleich hoch, heisst es vonseiten SBB. «Regional und auf einzelnen Linien ist sie jedoch zeitweise auf einem ungenügenden Niveau.»
Die Gründe dafür sind vielschichtig, wie die SBB selber analysieren. Kurz zusammengefasst hält das Unternehmen fest, «dass das Bahnsystem zeit- und stellenweise über zu knappe Reserven verfügt». Die Situation sei teilweise selbst verschuldet.
SBB geben Fehler zu
Als Fehler bezeichnen die SBB etwa, dass in der Vergangenheit die Bedarfs-, Einsatz- und Ausbildungsplanung des Lokführerpersonals vernachlässigt worden sei. Deshalb stünden heute an Spitzentagen zu wenig Lokführerinnen und Lokführer zur Verfügung. Auch die Kundeninformation bezeichnen die SBB als «ungenügend».
Zudem hätten die neuen Doppelstockzüge des Typs FV Dosto von Bombardier «mehrere Jahre Verspätung». Ebenfalls kritisch seien die vielen Baustellen. Es sei schwierig, «das richtige Gleichgewicht zwischen Bahnbetrieb und Bauen zu finden». Schliesslich sind die SBB auch Opfer des eigenen Erfolgs: Im ersten Halbjahr 2019 haben die Passagierzahlen im Personenverkehr um 7 Prozent zugenommen.
Weiterer Aufholbedarf beim Unterhalt
«Von den langfristigen Planungen bis hin zum täglichen Betrieb wurden Kompromisse zugunsten des Bahnangebots und zulasten der Pünktlichkeit gemacht», halten die SBB fest. Dies habe dazu geführt, dass der Bahnbetrieb heute zu oft am Limit laufe und dass die operativen Bereiche der SBB zu häufig im Taskforce-Modus arbeiteten.
Trotz dieser Herausforderungen bleibe es das Ziel, die Kundenpünktlichkeit auf dem heutigen Niveau zu halten oder sogar zu erhöhen, schreiben die SBB, um gleichzeitig zu relativieren: «Die Baustellen nehmen in den nächsten Jahren nochmals zu, da die SBB den Rückstand beim Unterhalt noch nicht aufgeholt haben und weitere Ausbauarbeiten anstehen.»
Einzelne Halte überprüfen
Nach Ansicht der SBB sollen die Infrastrukturbetreiberinnen ihre Baustellen künftig aber früher verbindlich ankündigen; für die Eisenbahnverkehrsunternehmen soll eine Einsprachemöglichkeit geschaffen werden.
Weitergehende betriebliche Entspannungen sind in den nächsten ein bis zwei Jahren zu erwarten. Möglich ist laut den SBB etwa, einzelne Halte für bestimmte Zugkategorien aufzuheben werden, «sofern die Reisekette mit anderen Zügen oder Angeboten gewährleistet ist». (awp/mc/pg)