Bern – Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat in Absprache mit dem Kunstmuseum Bern ein weiteres Werk aus dem Kunstfund Gurlitt restituiert. Die Zeichnung „Das Klavierspiel“ von Carl Spitzweg (1808—1885) wurde auf Wunsch der Erben des ehemaligen Eigentümers Dr. Henri Hinrichsen (1868—1942) am 12. Januar 2021 an das Auktionshaus Christie’s übergeben. Damit wurden alle 14 Werke restituiert, die im Zusammenhang mit dem Kunstfund Gurlitt als eindeutig NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert wurden.
Monika Grütters erklärt dazu: „Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir mit der Spitzweg-Zeichnung nun sämtliche bislang als Raubkunst identifizierten Bilder aus dem Kunstfund Gurlitt an die Nachkommen der Opfer zurückgegeben haben. Hinter jedem dieser Bilder steht ein menschliches, tragisches Schicksal, wie das des Auschwitz-Opfers Dr. Henri Hinrichsen. Wir können dieses schwere Leid nicht wiedergutmachen. Aber durch die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs versuchen wir, ein Stück weit zu historischer Gerechtigkeit beizutragen und unserer moralischen Verantwortung gerecht zu werden. Diese Aufarbeitung und die Provenienzforschung entschieden fortzusetzen, sind für uns bleibende Verpflichtung.“
Das NS-Regime hatte die Zeichnung 1939 bei dem Musikverleger jüdischer Konfession Dr. Henri Hinrichsen beschlagnahmt. 1940 erwarb Hildebrand Gurlitt das Werk, der Kaufpreis wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt. Dr. Henri Hinrichsen wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Die Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ hatte das Werk bereits 2015 als NS-Raubkunst identifiziert. Insbesondere aufgrund der komplexen Erbfolge und der weitverzweigten Familie der Restitutionsberechtigten konnten die Modalitäten der Rückgabe erst jetzt endgültig geklärt werden.
Marcel Brülhart, Vertreter des Kantons Bern in der Dachstiftung Kunstmuseum Bern – Zentrum Paul Klee, erklärt: „Das Kunstmuseum Bern hatte sich nach reiflicher Überlegung für die Annahme der Erbschaft Cornelius Gurlitt entschieden, um einen Beitrag an die Aufarbeitung des NSKunstraubs und zur Milderung geschehenen Unrechts zu leisten und sich als Museum den damit zusammenhängenden anspruchsvollen Fragen zu stellen. Noch sind die Arbeiten am Kunstfund nicht ganz abgeschlossen. Aber wir können bereits heute feststellen, dass die letzten Jahre das Bewusstsein in den Museen, im Kunsthandel und auch in der Öffentlichkeit für die Thematik geschärft haben und insbesondere im Bereich der Provenienzforschung, der Zugänglichkeit zu Informationen und im Umgang mit Werken mit lückenhafter Provenienz Fortschritte erzielt worden sind. Dieser Weg ist noch nicht zu Ende.“
Das Kunstmuseum Bern ist Erbe Cornelius Gurlitts (1932 – 2014) und damit des Kunstfunds Gurlitt. In einer Vereinbarung vom 24. November 2014 haben die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern und die Stiftung Kunstmuseum Bern festgelegt, dass die Provenienzen der über 1.500 Werke erforscht werden und die Bundesrepublik Deutschland NS-Raubkunst an die Opfer oder deren Nachkommen restituiert.
Kunstfund Gurlitt
Der Kunstfund Gurlitt war in den Medien zunächst als verschollener «Nazi-Schatz» bekannt geworden. In der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt waren 2012 im Rahmen eines Steuerermittlungsverfahrens rund 1’200 Kunstwerke eingezogen worden. Mit der Auffindung weiterer Werke in Gurlitts Salzburger Haus erhöhte sich die Anzahl auf 1’556 Kunstwerke. Da Cornelius Gurlitts Vater, der Kunsthistoriker Hildebrand Gurlitt (1895–1956), als Kunsthändler eng mit dem nationalsozialistischen Regime zusammengearbeitet hatte, veranlassten der Freistaat Bayern und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland eine Untersuchung der Provenienz und der Erwerbungsumstände der aufgefundenen Werke. Im April 2014 erklärte Cornelius Gurlitt sein Einverständnis, Herkunft und Erwerbungsumstände der Werke in seinem Besitz erforschen zu lassen und die Restitution von NS-Raubkunst nach der deutschen Auslegung der Washingtoner Prinzipien (1998) zu ermöglichen. Cornelius Gurlitt verstarb am 6. Mai 2014. In seinem Testament hatte er die Stiftung Kunstmuseum Bern als Alleinerbin eingesetzt. (Kunstmuseum Bern/mc/pg)