Bern – Das Zentrum Paul Klee widmet dem wenig bekannten Spätwerk des katalanischen Künstlers Joan Miró vom 28. Januar bis 7. Mai 2023 eine grosse Ausstellung. Die ausdrucksstarken grossformatigen Werke zeigen eine auch für Miró-Liebhaberinnen und Liebhaber überraschend rohe Seite seines Werks und zeichnen sich durch die stete Suche nach neuen Ausdrucksformen aus.
Joan Miró ist bekannt für seine farbigen surrealistischen Traumwelten, die in den 1920er- und 1930er-Jahren entstanden sind. Früh begann er, die traditionelle Malerei zu hinterfragen. Besonders nach dem lang ersehnten Bezug eines eigenen grossen Ateliers in Palma im Jahr 1956 erweiterte der katalanische Künstler seinen Malereibegriff auf bisher unbekannte Weise. Er revidierte sein gesamtes bisheriges Schaffen, überarbeitete frühe Werke oder nahm die Arbeit an unvollendeten Werken wieder auf. Dieser Moment der Selbstkritik und des Neuanfangs bildet den Ausgangspunkt für die Ausstellung im Zentrum Paul Klee.
Die Ausstellung umfasst 74 Werke, vorwiegend aus den späten 1960er-, den 1970er- und den frühen 1980er-Jahren. Die Mehrheit davon stammt aus den Beständen der Fundació Joan Miró, Barcelona sowie der Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca und ist erstmals in der Schweiz zu sehen.
«Man muss verfolgen, was der Junge macht.» Joan Miró und Paul Klee 1956 – im Alter von 63 Jahren und 20 Jahre nachdem er diesen Wunsch zum ersten Mal formuliert hatte – konnte Joan Miró sich den Traum eines eigenen grossen Ateliers erfüllen und siedelte mit seiner Familie nach Palma über. Bis dahin waren sein Leben und sein Schaffen von vielen Wechseln geprägt gewesen: Bis zum Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges im Jahr 1936 verbrachte Miró jedes Jahr ungefähr vier Monate in Paris und die restliche Zeit in Spanien, in Barcelona oder Mont-roig, wo seine Familie ein Landhaus besass. Während er in Paris Kontakte zur Kunstszene pflegte, konnte er in Spanien ohne Ablenkung konzentriert arbeiten. In Paris traf er zahlreiche Künstler:innen und Dichter:innen der surrealistischen Bewegung und befreundete sich mit seinem Ateliernachbarn André Masson. Dieser machte ihn auf das Werk Paul Klees aufmerksam.
«Klee war die entscheidende Begegnung meines Lebens. Unter seinem Einfluss befreite sich meine Malerei von allen irdischen Bindungen. Klee machte mir klar, dass ein Fleck, eine Spirale, ja sogar ein Punkt ebenso Gegenstand der Malerei sein kann wie ein Gesicht, eine Landschaft oder ein Denkmal», sagte Joan Miró über den vierzehn Jahre älteren Paul Klee. Auch der Schweizer Künstler soll sich vor seinem Bauhaus-Kollegen Wassily Kandinsky mit den Worten «man muss verfolgen, was der Junge macht» positiv über die Arbeit des Katalanen geäussert haben. Obwohl sich die beiden nie persönlich kennenlernten, hat die Begegnung mit Paul Klees Werk Joan Miró nachhaltig geprägt. Beide Künstler setzten sich beispielsweise mit Kinderzeichnungen und prähistorischer Kunst auseinander, was sich in der reduzierten Formensprache ihrer eigenen Werke zeigt.
Der Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges zwang die Familie Miró von 1936 bis 1940 in Frankreich zu bleiben. Nach dem Vormarsch der deutschen Truppen 1940 kehrte sie ins faschistische Spanien zurück, wo Miró bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in einem bescheidenen Atelier in Barcelona sowie im Landhaus in Mont-roig arbeitete. Trotz dieser vielen Umbrüche war Mirós Schaffen in diesen Jahren enorm fruchtbar.
Mirós Spätwerk: Reduktion und Verdichtung
In seinem neuen Atelier in Palma konnte Miró erstmals alle Kisten mit früheren Werken versammeln. Als er begann, sie auszupacken und zu ordnen, sichtete er erstmals die über Jahrzehnte entstandenen Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe und Skizzenbücher: «In dem neuen Atelier hatte ich zum ersten Mal genug Platz. Ich konnte Kisten mit Werken auspacken, die schon vor Jahren entstanden waren. Ich hatte sie nicht mehr beachtet, seit ich Paris […] vor dem Krieg verlassen hatte […]. Nachdem ich alles ausgepackt hatte, unterzog ich auf Mallorca mein bisheriges Schaffen einer kritischen Revision.»
Nach dieser «kritischen Revision» empfand Miró die konventionelle Malerei an der Staffelei als Einschränkung und suchte nach neuen Ausdrucksformen. Er wollte sich von seinen früheren, surrealistisch geprägten Arbeiten, die durch Postkarten und Kunstdrucke bereits kommerzialisiert worden waren, distanzieren und eine einfachere, universale Bildsprache entwickeln. Seine Kunst sollte für alle Menschen zugänglich und verständlich sein. So «malte» er beispielsweise statt mit dem Pinsel mit Feuer, Schere und einem nassen Besen – durch einen Akt der Zerstörung entstanden so neue kreative Erzeugnisse, die toiles brûlées. Er erweiterte seine Technik um Tapisserien und die sogenannten Sobreteixims, in denen er Tapisserie, Collage und Malerei verband. Er arbeitete mit Textilien oder übermalte auf dem Flohmarkt gekaufte klassische Gemälde mit impulsiven Pinselstrichen und einfachsten poetischen Zeichen wie Kreisen, Sternen und Mondsicheln.
Reisen in die USA und nach Japan bestätigen ihn in seinen neuen künstlerischen Bestrebungen. Die grossen Formate und gestische Arbeitsweise der Künstler:innen des Abstrakten Expressionismus in den USA interessierten und inspirierten ihn ebenso wie die Kalligrafie und die Leere und Konzentration in der japanischen Kultur. Entstanden sind grossformatige Gemälde und spielerische, an Pop Art erinnernde Keramik- und Bronze-Skulpturen, die auch heute noch durch ihre ungebrochene künstlerische Aktualität beeindrucken. (ZPK/mc/ps)