Zentrum Paul Klee: Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge

Le Corbusier (Charles-Edouard Jeanneret), Ilot insalubre n°6 (Ausschnitt), Paris, 1936, Tusche auf Papier, 75 × 108 cm, Fondation Le Corbusier, Paris. (© 2025, FLC/ProLitteris, Zurich)

Bern – 20 Jahre Zentrum Paul Klee. Die erste grosse Sonderausstellung im Jubiläumsjahr ist Le Corbusier gewidmet: Vom 8. Februar 2025 bis 22. Juni 2025 präsentiert das Zentrum Paul Klee Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge. Die Ausstellung widmet sich dem Arbeitsprozess des schweizerisch-französischen Künstler-Architekten, Designers und Stadtplaners und stellt Le Corbusiers plastisches Denken in den Vordergrund. Sie bietet einen umfassenden Überblick über sein gesamtes Schaffen aus einer künstlerischen Perspektive und zeigt sowohl ikonische Exponate als auch bisher weitgehend unbekannte Werkgruppen.

Le Corbusiers Arbeitsprozess als Kern der Ausstellung
Charles-Édouard Jeanneret, weltbekannt unter dem Pseudonym Le Corbusier, zählt zu den wichtigsten Impulsgebern der modernen Architektur in der Schweiz. Darüber hinaus gehörte er zu den prägendsten und weltweit einflussreichsten Protagonisten der internationalen Moderne. Le Corbusier (*1887 La Chaux-de-Fonds, Schweiz – □1965 Roquebrune-CapMartin, Frankreich) war sowohl als Architekt wie auch als Künstler, Stadtplaner, Designer, Schriftsteller und Theoretiker tätig. Ein Teil seiner Architektur gehört seit 2016 zum UNESCOWeltkulturerbe.
Mit enormem Tatendrang, radikalen Visionen und provokativer Rhetorik prägte Le Corbusier die moderne Architektur. Er strebte in seinem Werk an, Wohn- und Stadträume neu zu gestalten. Seine Herangehensweise verschränkte Kunst, Design und Architektur. Dabei verfolgte er das Ziel, durch funktionale und ästhetische Architektur eine neue Lebensumgebung zu schaffen und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Dafür machte er sich die neuen Möglichkeiten des technischen Fortschritts zunutze und verband diese mit klassischen Prinzipien der Ästhetik, wie etwa dem goldenen Schnitt. Le Corbusier schlug vor, die Erzeugnisse moderner Technologien, wie Ozeandampfer, Flugzeuge und Autos als Vorbilder für die Architektur zu nutzen, da bei diesen die Form direkt im Verhältnis zur Funktion steht. Er verwendete Stahlbeton in seinen Gebäuden und entwickelte Methoden, um die künstlerischen und skulpturalen Möglichkeiten dieser modernen Bauweise innovativ zu nutzen.

Im Zentrum dieser Ausstellung stehen Le Corbusiers Arbeitsprozess, sein plastisches Denken und das künstlerische Experiment im «Atelier der geduldigen Forschung», wie Le Corbusier seine künstlerische Vorgehensweise bezeichnete. An dieser Stelle wird sichtbar, wie sich Le Corbusier an die Form und die Auseinandersetzung mit Komposition und Raum, Licht und Farbe herantastet. Die Präsentation umfasst viele Zeichnungen und Entwürfe aus dem Atelier. Das Zeichnen war für Le Corbusier zeitlebens ein zentrales Mittel dafür, Gesehenes festzuhalten und zu verarbeiten und neue Ideen zu entwickeln. Ausserdem beleuchtet die Ausstellung die Quellen, die in den Entwurfsprozess einfliessen – von Fundstücken am Strand bis zur Architektur der Antike.

Das Prinzip der Ordnung
Die «Ordnung» spielte für Le Corbusier eine wichtige Rolle. Mit diesem Begriff greift die Ausstellung ausserdem ein allgemeinverständliches und universelles kunst- und kulturhistorisches Thema auf, das in die Antike zurückreicht und bis heute aktuell ist. Besonders in den 1920er-Jahren war die «Ordnung» ein Schlüsselbegriff in Le Corbusiers Denken. Entwerfen bedeute, Dinge zu «ordnen». Er betrachtete es als die zentrale Aufgabe von Kunst und Architektur, die Welt durch Ordnung zu begreifen und zu gestalten. Erst durch Ordnung, glaubte er, könne der Mensch sich geistig entfalten und sich von den Launen der Natur, von Zufall und Beliebigkeit befreien.

In der Architektur bezieht sich das Prinzip der Ordnung zunächst auf den Wunsch, Formen und Farben, Licht und Raum in ein harmonisches Verhältnis zueinander zu bringen. Le Corbusiers Ordnungsverständnis geht dabei auf klassische Traditionen in der Kunst und der Architektur zurück, z. B. auf die Baukunst der Antike. Le Corbusiers Beschäftigung mit Ordnung war zugleich eine Reaktion auf die Herausforderungen seiner Zeit: die schlechten Lebensbedingungen in den Industriestädten, die Zerstörungen des Ersten Weltkriegs, die alltäglichen Veränderungen durch den technischen Fortschritt, die Revolutionen in Europa und die wirtschaftlichen Krisen der 1920er-Jahre.

Mit der künstlerischen Avantgarde seiner Zeit teilte er den radikalen Impuls, Traditionen zu hinterfragen und die Lebenswelt der Menschen von Grund auf neu zu gestalten, zu «ordnen». Ordnung ist insofern ein utopischer, aber auch ein ambivalenter Begriff: Er verspricht Ruhe und Sicherheit, fordert aber auch Regeln und Disziplin. Und er führt so von der Gestaltung der Räume und der Struktur der Städte zur Frage der Organisation des Zusammenlebens. Er verbindet Kunst und Architektur, Kultur und Gesellschaft.

Kunst, Architektur und Recherche
Die Ausstellung ist sowohl thematisch als chronologisch gegliedert und in drei Achsen unterteilt: Kunst, Architektur und Recherche. Die Achse Kunst zeigt Le Corbusiers künstlerische Entwicklung von der Ausbildungszeit bis zum Spätwerk. Die Kunst spielte für Le Corbusier stets eine zentrale Rolle: als eigenständige Tätigkeit wie als Impulsgeber für die Architektur und das Design. Dieser Teil der Ausstellung beginnt mit selten gezeigten Natur-, Landschafts- und Architekturstudien. Sie verdeutlichen, wie sich der junge Charles-Edouard Jeanneret mit Raum und Architektur auseinandersetzt. Weiter werden ikonische Gemälde des «Purismus» der 1920er-Jahre präsentiert – einer avantgardistischen Bewegung, die Le Corbusier zusammen mit dem Künstler Amédée Ozenfant in Paris gründete. Die Achse Kunst umfasst überdies farbenfrohe, abstrakte Zeichnungen, verblüffende Skulpturen und Collagen aus dem Spätwerk. Sie offenbaren eine bisher kaum bekannte Seite von Le Corbusier.

Die Achse Architektur fokussiert sich auf Le Corbusiers Entwurfspraxis und seine Auseinandersetzung mit architektonischen Ordnungsprinzipien. Entwürfe von realisierten wie unrealisierten Projekten werden hier ausgestellt. Zu sehen sind bemerkenswerte Skizzen und Zeichnungen, städtebauliche Entwürfe und Visionen, Modelle und Visualisierungen. Deren künstlerischer Charakter steht dabei im Vordergrund. Die engen Parallelen zu Le Corbusiers Kunstschaffen werden dadurch sichtbar. Es sind originale Entwürfe für berühmte Projekte wie die Unité d’Habitation in Marseille (1945–1952), die Stadt Chandigarh in Indien (1950–1965) oder die Kapelle Notre-Dame-Du-Haut von Ronchamp (1950–1955) zu sehen. Die innovativen, filmisch anmutenden Entwurfszeichnungen für die modernistischen Villen Le Corbusiers der 1920er-Jahre, die zur «Promenade Architecturale» («architektonischer Spaziergang») einladen, sind ebenfalls Teil der Ausstellung. Zahlreiche Fotografien von Richard Pare ermöglichen dem Publikum, die architektonischen Entwürfe in Bezug zur gebauten Architektur zu setzen. Eine grossformatige Videoinstallation des österreichischen Künstlers Kay Walkowiak (*1980) über den heutigen Zustand der Stadt Chandigarh rundet die Präsentation ab.

Der Teil Recherche steht im Zentrum der Ausstellung. Dieser Bereich ist der Idee des «Atelier de la Recherche Patiente» («Atelier der geduldigen Forschung») gewidmet. Er bildet das Bindeglied zwischen Architektur und Kunst. Hier erhält das Publikum Einblick in den Arbeitsalltag Le Corbusiers, der seine Tätigkeit auf zwei Pariser Ateliers verteilte: sein Architekturbüro an der Rue de Sèvres und sein Künstleratelier an der Rue Nungesser-et-Coli.

Im Teil Recherche wird u. a. Le Corbusiers Sammlung natürlicher Gegenstände gezeigt.
Diese betrachtete er als «objets à réaction poétique» («eine poetische Reaktion auslösende Objekte»). Sie bildeten eine wichtige Quelle seines Entwurfsprozesses. Eine Auswahl seiner Fotografien wird hier ebenfalls präsentiert. Erstmal in der Schweiz zeigt das Zentrum Paul Klee darüber hinaus Le Corbusiers Postkartensammlung: Diese macht es möglich, in den einzigartigen Bilderkosmos des Künstler-Architekten einzutauchen. Ausgestellt werden auch Le Corbusiers Bücher und Buchentwürfe. Ein Raum ist seinen legendären, vor Publikum entstandenen Vortragszeichnungen gewidmet. Sie gingen aus seiner internationalen Reise- und Vortragstätigkeit hervor und zeugen von seiner leidenschaftlichen Vermittlung modernistischer Ideen.

Historische Kontextualisierung
In Form von zahlreichen Wand- und Objekttexten wird das Werk von Le Corbusier in seinen historischen Zusammenhängen verständlich gemacht. In der Ausstellung werden auch Informationen über den Werdegang von Le Corbusier zur Verfügung gestellt und Le Corbusiers umstrittene Bezüge zur Politik, seine ideologischen Haltungen und sein historisches Erbe wissenschaftlich fundiert und allgemeinverständlich vermittelt. Inhaltlich stützt sich das Zentrum Paul Klee hierbei auf die Studie «Le Corbusier, die Juden und der Faschismus. Eine Klarstellung», die der Historiker Jean-Louis Cohen 2012 im Auftrag der Stadt Zürich anfertigte, sowie den aktuellen Stand der Forschung. (ZPK/mc/ps)

Ausstellungsinformationen

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